Rezension

Großartiges Thema, mit kleineren Durststrecken und einigen Mängeln.

Er nannte mich Fräulein Gaga - Sandra Winkler

Er nannte mich Fräulein Gaga
von Sandra Winkler

Bewertet mit 3.5 Sternen

Erster Eindruck:
Zu Beginn reißt es mich nicht wirklich mit. Ich kann nicht mal sagen woran das liegt. Aber irgendwie finde ich es die ersten beiden Kapitel lang sehr mühselig zu lesen. Möglicherweise liegt das daran, dass ich das bis hier hin nicht wirklich amüsant finde. Da es dann eine sehr lange Lesepause an dieser Stelle gab, hab ich das Buch erneut angefangen. Mit demselben Ergebnis. Wieder ist es am Anfang eher zäh, aber irgendwann gegen Mitte wird es dann doch recht interessant.

Zitat:

“Für mich klingt das so überzeugend wie ein amerikanischer Fernsehprediger. Klopf, klopf, wer ist da? Die Lösung all deiner Probleme. Ich will sofort hören, was Dr. Wölk dazu zu sagen hat. Doch Dr. Wölk kommt nicht wieder.” (S. 78)

“Dass viele Menschen nicht gegen ihre Phobie tun – immerhin soll jeder zehnte Deutsche unter einer der rund 600 medizinisch anerkannten Arten leiden – , liegt übrigens daran, dass es meist ziemlich einfach ist, dem Schreckens-Subjekt aus dem Weg zu gehen. Man geht einfach nicht in den Keller, wo diese ekligen Monster ihre Netze spinnen, sondern schickt den Partner. oder man lässt sich herumkutschieren, statt selbst zu fahren. Die Angst vor der Angst ist dabei häufig größer als die Phobie selbst und treibt uns dazu, unseren Alltag um unsere Furcht herumzustricken.” (S. 104)

“”Aber so funktioniert eine Partnerschaft nicht”, wundert sie sich über mich. “Wenn es Ihnen gelingen würde, alle ihre Macken loszuwerden, dann hätten Sie ja irgendwann eine Beziehung, in der Sie beide nur noch flöten und man könnte jederzeit die Rama-Frühstückswerbung bei Ihnen zu Hause drehen.” Das klingt in der Tat todlangweilig.””(S. 134)

Fazit:
Ich habe mir dieses Buch gewünscht und war umso begeisterter als Tialda es mir einfach so kommentarlos geschickt hat. <3 Weniger begeistert war ich von dem doch eher zähen Start. So ganz greifen kann ich es nicht, denn irgendwie hat es mich einfach nicht gepackt und mitgenommen. Da mich aber nun mal der Inhalt sehr interessiert hat, habe ich das dann mal versucht zu ignorieren und weiter gelesen.

Irgendwann ging es dann mit dem Kampf gegen die Macken richtig los und ab hier fand ich das als an Psychologie interessierter Mensch auch wieder interessant und spannend. Nachdem geklärt ist welche Macken sie da jetzt eigentlich bekämpfen muss lässt die Autorin wirklich nichts unversucht und beleuchtet in dem Zusammenhang alle gängigen und auch etwas abstrakteren Therapieansätze. Und das finde ich sehr gut und interessant, obwohl sie – in meinem Fall – nichts erzählt hat was ich nicht selbst schon wusste. Allerdings gefällt es mir deshalb so gut, weil ich finde, dass das Buch eine humorvolle Herangehensweise an eine weit verbreitete Erkrankung ist. Auch wenn immer wieder betont wird, dass die Macken von Frau Winkler jetzt nicht so stark ausgeprägt sind, dass sie wirklich einer Therapie bedürfen, zeigt das Buch gut, dass es Macken, Ticks und Zwänge gibt, dass man darunter leiden kann, dass sie aber auch zu einem gehören können.

Ich finde es gut, dass sie auch die Hochsensibilität ins Gespräch bringt (an dieser Stelle erfahre auch ich Neues.. wie groß das Angebot da ist wusste ich nicht), die wirklich nicht sehr gut erforscht ist, was ich persönlich sehr bedauere. Mir gefällt es sehr von den Ansätzen zu lesen, auch und gerade weil sie auch ein Kopfmensch ist, der erst mal alles anzweifelt was man nicht beweisen kann. Leider geht unter, dass vieles in der Art für sie nur möglich ist, weil sie eben Journalistin ist. Gespräche mit Experten sind für Normalsterbliche in der Art nicht wirklich möglich. Häufig wartet man ewig um überhaupt nur einen Psychologen zu sehen. Auch wird leider nirgendwo erwähnt, dass 111 Tage einfach verdammt wenig Zeit ist, wenn man sich etwas abgewöhnen will was man vermutlich seit Jahren im eigenen Leben – nicht ohne Grund – etabliert hat. Doch immerhin wird deutlich, dass man sich nicht für jemand anderen ändern sollte, sondern für sich selbst. Und das ist eine mindestens genauso wichtige Erkenntnis.

Für ein perfektes Buch hätte ich persönlich einen anderen Stil gebraucht, auch finde ich die Kapitelüberschriften nicht so gelungen und eine deutlichere Erwähnung, dass man als Normalsterblicher nicht an alle Möglichkeiten herankommt wäre mir auch sehr recht gewesen. Insgesamt ist es aber eine humorvolle Auseinandersetzung mit einem – in meinen Augen – noch viel zu tabuisierten Thema.