Rezension

Familie und andere Probleme

Die grüne Bluse meiner Schwester - Gerður Kristný

Die grüne Bluse meiner Schwester
von Gerður Kristný

Bewertet mit 4.5 Sternen

Frida ist Mitte zwanzig und unglücklich. Gerade ist ihr Vater gestorben, der für sie der wichtigste Mensch im Leben war. Von der Mutter hat sie sich nie geliebt gefühlt und das Verhältnis zu ihrer Schwester als schlecht zu bezeichnen, ist noch sehr vorsichtig ausgedrückt. Auch sonst weiß sie nicht recht, was sie mit sich und ihrem Leben anfangen soll. Ihr Studium hat sie abgebrochen und jobbt seitdem in einer Parfümerie. Aber kann das auf Dauer alles gewesen sein? Ihre Chefin – die viel von Frida hält – gibt er den Tipp, mal Kontakt zu ihrer Schwester aufzunehmen. Diese ist Chefredakteurin bei einem Zeitungsverlag und ständig auf der Suche nach guten Journalisten.

Frida hat Zweifel, ob sie überhaupt gut schreiben kann, bewirbt sich aber trotzdem. Und erhält ein sehr überraschendes Angebot. Sie wird eingestellt unter der Voraussetzung, dass sie sich zuvor von einem Konkurrenzblatt als Sommervertretung einstellen lässt und dort dann spioniert…

Ich muss gestehen, ich habe Frida sehr schnell ins Herz geschlossen. Diese junge Frau, die einerseits sehr intelligent ist und auf der anderen Seite noch total unerfahren. Sie wünscht sich so sehr, eine Mutter zu haben, die sie um Rat fragen könnte.

„Es gibt Frauen, die haben Mütter, an die sie sich in der Not wenden können. Diese Mütter waren da, als ihre Töchter Teenager waren, und auch nicht weit, als ihre Töchter in die Zwanziger kamen. Alles sieht danach aus, dass sie immer noch da sein werden, wenn ihre Töchter in die Dreißiger kommen. … Wenn Kristins Mutter in die Stadt kommt, fahren sie ins Blumenparadies, gehen shoppen oder zusammen essen. Ich war einmal mit ihnen im Hotel Holt. Sie tauschten Neuigkeiten aus, die Mutter erzählte, was auf dem Land passiert war, und Kristin erzählte ihrer Mutter, wie es an der Uni lief. Es war wunderbar. Ich hätte endlos dasitzen und ihnen zuhören können.“

Fridas Mutter verhält sich nur ihrer Schwester gegenüber so. Manche Dinge im Verhalten der Mutter haben mich einfach sprachlos und wütend gemacht! Gleichzeitig wird angedeutet, dass ihr Leben wohl auch nicht einfach war, denn die Mutter war viele Jahre während Fridas Kindheit medikamentenabhängig.

Und die Schwester? Auch ihr Verhalten gegenüber Frida ist mehr als fragwürdig. Über ihre Gründe kann man spekulieren. Eifersucht gehört sicher dazu, weil Frida zum Vater ein engeres Verhältnis hatte. Und auch Episoden aus dem Leben der Schwester lernen wir kennen und erfahren, dass auch für sie nicht alles schön und einfach war.

Und Fridas neue Arbeit? Sie hat sie mit leichtem Unwohlsein angenommen und ihre Gewissensbisse werden im Laufe des Sommers nicht weniger. Was soll sie bloß tun? Aber am Ende, nach vielem Grübeln, vielen Erinnerungen und reichlich Streitgesprächen findet sie ihren Weg.

„Im Schaufenster der Drogerie in der Austurstraeti fiel mir ein gelbes Halstuch ins Auge, das ich unbedingt haben musste, also kaufte ich es. Es war schweineteuer, und ich wusste nicht, wo ich in der nächsten Zeit arbeiten sollte, aber das würde schon alles werden. Es mussten einfach gute Zeiten vor mir liegen, und da konnte es nicht schaden, ihnen mit einem gelben Tuch um den Hals entgegenzutreten.“

Ein schönes Buch, manchmal lustig, manchmal nachdenklich. Leicht zu lesen, Erinnerungen wechseln mit aktuellen Geschehnissen ab. Vor allem mag ich aber auch die Vielschichtigkeit der Figuren. Denn mal ehrlich: Wer hat schon nur gute Seiten? Und wer wusste – vor allem als junger Mensch – schon immer genau, was er tun soll? Auch Frida macht Fehler und ist dadurch, so wie alle anderen Charaktere auch, überaus menschlich.