Rezension

Ein überragendes Erstlingswerk mit sensiblem Thema

Die Nacht gehört dem Drachen - Alexia Casale

Die Nacht gehört dem Drachen
von Alexia Casale

Klappentext:
Endlich hat Evie ihren Adoptiveltern von ihrer gebrochenen Rippe erzählt und endlich ist sie die ständigen Schmerzen los. Nur eine Narbe ist geblieben und ein Stück Knochen, das man herausoperiert hat. Zusammen mit ihrem Onkel hat sie einen Drachen daraus geschnitzt, als Glücksbringer und Zeichen neuer Stärke.
Nichts wünscht sich Evie sehnlicher, als dass der Drache lebendig wäre. Und ihr Wunsch scheint tatsächlich in Erfüllung zu gehen. Denn in den dunklen Nächsten redet der Drache mit ihr, spricht ihr Mut zu, fordert aber auch Geduld ein. Als Evie langsam zu Kräften kommt, wird deutlich, dass ihre Eltern eines nicht für sie erreichen können: Gerechtigkeit für das, was ihr angetan wurde.

Zum Inhalt:
In dem Buch „Die Nacht gehört dem Drachen“ dreht es sich vordergründig um Evie’s Schicksal, ihre Gefühle, ihre Wünsche und Probleme. Denn Evie wurde von den Eltern ihrer Mutter über Jahre hinweg grausam misshandelt und konnte erst mit der Adoption durch eine liebevolle Familie wieder neuen Mut fassen.
Allerdings ist ihre traurige Geschichte eine von mehreren in ihrem Umfeld, da sich auch in der Vergangenheit ihrer neuen Familie einige Tragödien abgespielt haben, die die Betroffenen immer noch schmerzen und verarbeitet werden müssen. So ist sowohl der Sohn ihrer Adoptiveltern, die Eltern der Mutter, als auch die Frau des Onkels vor einigen Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Ein großer Schwerpunkt liegt bei den Gefühlen der Protagonistin und denen ihres Umfeldes. Dem Leser wird ein Einblick in den beschwerlichen Weg der Verarbeitung traumatischer Erfahrungen und Verluste gewährt. Es werden allerdings auch verschiedene Arten aufgezeigt, wie Menschen damit umgehen und welche Auswirkungen dies auch auf ihre Umwelt haben kann. Die Einflüsse von Erlebtem auf das Verhalten anderen gegenüber werden ebenfalls deutlich dargestellt. Wem kann man sich anvertrauen? Wie weit kann man sich anderen gegenüber öffnen, bevor der Schmerz der Erinnerung übermächtig wird?
Die Autorin findet für die Gefühle und Erinnerungen stellenweise sehr poetische Beschreibungen und Metaphern. Besonders eindringlich werden manche Geschehnisse geschildert, in dem der Leser nur bestimmte Sinneseindrücke aus Evies Sicht erhält. Aber gerade dies macht ein Hineinversetzen in die Protagonistin einfacher und vielleicht sogar tiefgehender.
Der Drache aus dem Rippenstück wird nachts lebendig und ist für Evie so etwas wie ein Schutzgeist. Er hilft ihr die Vergangenheit auf ihre eigene Art und Weise zu verarbeiten, da sie sich von den nett gemeinten Versuchen ihrer Umgebung ihr zu helfen, häufig überfordert fühlt. Er zeigt ihr die Schönheit und Ruhe der Natur, wodurch sie Momente inneren Gleichgewichts und ein Gefühl der Freiheit erfahren kann. Außerdem bieten die Nächte mit dem Drachen ihr die Möglichkeit Gefühlen und Handlungen Ausdruck zu verleihen, die sie sich im Alltag nicht oder nur teilweise erlaubt.

Eigene Meinung zum Buch:
Meiner Meinung nach ist „Die Nacht gehört dem Drachen“ ein mehr als gutes Erstlingswerk von der britischen Autorin Alexia Casale und ich empfehle es jedem (ab ca. 14 Jahren), der sich auf die beschwerliche Reise der Verarbeitung verschiedener Traumata einer ganzen Familie einlassen kann. Frau Casale hat sich trotz früherer Legasthenie-Probleme an die literarische Umsetzung eines äußerst sensiblen Themas gewagt und dies in meinen Augen überwältigend umgesetzt.
Ich habe selten eine eindringlichere, ehrlichere Ausführung dieser leider immer aktuellen Themen gelesen, die gleichzeitig durch wunderbare Umsetzung der sprachlichen Mittel selten Dinge direkt ausspricht und trotzdem so viel Aussagekraft hat.