Rezension

Du kannst nur jemanden lieben, wenn du dich selber liebst

Julia für immer - Stacey Jay

Julia für immer
von Stacey Jay

*Worum geht's?*
Shakespeare ist ein Lügner: Romeo ist nicht der verzweifelte Liebende, den er beschrieben hat. Er ist ein egoistischer Bösewicht, der Julia mit seinen eigenen Hände ermordete, um ewiges Leben zu erlangen. Ihren Körper mag er geopfert haben, doch ihr Geist ist wie er unsterblich geworden. Seitdem sind nun mehr als 700 Jahre vergangen. Jahrhunderte, in denen sich Julia und Romeo erbarmungslos bekämpfen. Das Gute gegen das Böse. Julia ist eine Botschafterin geworden, die in weltliche Körper schlüpft, um wahre Seelenverwandte zu vereinen - während Romeo ein dunkler Söldner geworden ist, der genau dies mit blutiger Gewalt zu verhindern versucht! Als Julia den Körper der jungen Außenseiterin Ariel übernimmt, wird ihr schnell klar, dass diese Mission anders ist als alle anderen zuvor. Es könnte ihre letzte sein, ihr letzter Kampf gegen Romeo, sobald sie ihre Pflicht erfüllt hat. Sie soll Ariels beste Freundin Gemma mit Ben zusammenbringen. Eine leichte Aufgabe für eine Botschafterin mit 700 Jahren Diensterfahrung, sollte man meinen. Wäre da nicht ihr Herz, dass das erste Mal seit 700 Jahren wieder für jemanden zu schlagen beginnt...

*Kaufgrund:*
"Julia für immer" ist mir beim Durchblättern der neuen INK-Verlagsvorschau aufgefallen. Mein erster Gedanke war "Wow! Was für ein Buch!". Als "Romeo und Julia"-Fan hat es dieser Roman selbstverständlich sofort auf meine Wunschliste geschafft.

*Meine Meinung:*
Das Buch beginnt mit einem kurzen, 3-seitigen Prolog, einem Blick in die Vergangenheit: Verona, Italien, im Jahre 1304. Hier dürfen wir die damalige Julia und den jungen Romeo kennenlernen, quasi den Ursprung allen Übels. Sie genießen ihren letzten Abend miteinander und schwören sich ihre ewige Liebe. Hach, selbst der kurze, wundervolle Prolog hat mich schon zum Seufzen gebracht! Augenblicklich war ich von der warmen und emotionalen Atmosphäre angetan. Auch der gefühlvolle und bildliche Schreibstil hat mich sofort gefangen genommen. Stacey Jay hat den Prolog so empfindsam, so intim geschrieben, dass es mir schon beinahe peinlich war, Romeo und Julia in diesem persönlichen Moment zu belauschen.

Kaum beginnt das nächste Kapitel, ist die wundervolle Atmosphäre einer grausigen gewichen. Ein gewaltiger Zeitsprung verschlägt den Leser in das Kalifornien der Gegenwart, wo er Zeuge eines schrecklichen "Unfalls" wird. In diesem Moment übernehmen Julia und Romeo die Körper von Ariel und Dylan. Von nun an gibt es in "Julia für immer" keine ruhigen Momente mehr. Schonungslos und brutal, aber mit einer zarten Note der vergangenen Liebe, liefern sich Romeo und Julia bereits während ihrer ersten Begegnung einen atemlosen Kampf der Extraklasse. Eben noch waren sie Liebende, die mich zum Schwärmen brachten; nun sind sie Todfeinde, die mir mit ihrem glühenden Hass die Sprache verschlagen! Jay setzt zu Beginn ihres Romans ein rasantes Tempo und ein hohes Spannungsniveau an, das "Julia für immer" unverzüglich zu einem Pageturner werden lässt. Ich hätte nicht gedacht, dass Stacey Jay nach so einem grandiosen Start weiterhin so stark mitreißen kann, doch ich sollte eines Besseren belehrt werden: Die Autorin hält sich nicht nur an ihr Tempo und ihr Niveau, nein, sie steigert ist bis zur letzten Seite!

Aber welcher Schicksalsschlag hat Romeo und Julia auseinandergetrieben? Was hat aus Liebe unerbittlichen Hass sprießen lassen? Wer sind die Söldner, zu denen Romeo sich nun zählt? Mit jedem Kapitel werden neue Details der verworrenen Handlung aufgedeckt, die sich die Autorin für ihre tragische Geschichte ausgedacht hat. Viele unerwartete Wendungen lassen uns bis zum letzten Kapitel um die Zukunft der Charaktere bangen. Es wird brutal, es wird abartig und grausam, aber es wird auch unglaublich romantisch, zärtlich und dramatisch.

Offensichtlich neigt die Autorin zu Übertreibungen; besonders was ihre Beschreibungen betrifft! Einige Male verliert sich Jay während der grausigen Szenen in ihren Schilderungen, bis mir das Blut in den Adern gefroren ist. Auch romantische Momente und vor allem das Ende(!) werden dermaßen überdehnt, dass man sie wahrheitsgemäß nur als puren Kitsch bezeichnen kann. Einigen Lesern wird dies sicherlich negativ auffallen; ich persönlich war jedoch genau deshalb so überwältigt. Alles hat so perfekt zueinander gepasst, dass ich es nicht anders als so gewollt hätte. Es ist ein Drama über die zwei extremsten Gefühle, über die stärksten Kontraste: Liebe und Hass - da muss man Jay auch zu extremen Mitteln greifen lassen!

Julia ist eine anspruchsvolle Protagonistin, die es den Lesern anfangs schwierig macht, sich auf sie einzulassen. Romeos Verrat vor 700 Jahren hat sie gebrochen und ihren gesamten Glauben in Frage gestellt. Statt in Verzweiflung zu versinken, gibt sich Julia nun völlig ihrer Berufung hin, die wahren Liebenden auf der Erde zusammenzuführen und vor Romeo zu schützen. Aus der Liebenden ist während der letzten Jahrhunderte ein Racheengel geworden, der nach Vergeltung verlangt. Obwohl sie ihre dunklen Gefühle bis in ihr Unterbewusstsein verdrängt hat, wird sie dennoch von ihnen vorangetrieben. Julia ist nicht mehr sie selbst, sondern nur noch ein trauriger, verwirrter und hasserfüllter Rest ihrer früheren Persönlichkeit. In "Julia für immer" lernt sie Ben kennen, der sie langsam und behutsam wieder das Lieben lehrt. Ebenso behutsam kommt man Julia mit jeder Seite näher. Mit jedem Detail, das man über sie erfährt, wächst sie einem mehr ans Herz, bis man sie voll und ganz darin eingeschlossen hat. Sie wächst, wird authentischer, findet wieder zu sich selbst - und all das beschreibt Stacey Jay so zärtlich und sachte, dass es einen nicht mehr loslässt. Kurzum: Jay hat hier eine Protagonistin erschaffen, die mich sprachlos gemacht hat.

Romeo, oh Romeo - was bist du nur für ein faszinierender Antagonist! Er ist ein Lügner, ein Mörder, ein Bösewicht durch und durch. Ein Mann, vor dem man sich hüten sollte, aber nicht kann! Romeo weiß, wie man die Frauen bezirzt, und macht auch vor der weiblichen Leserschaft keinen Halt. Mit seiner malerischen Sprache, seinem bezaubernden Charme und seinem gefährlichen Hang zur Romantik bringt er jedes Herz zum Dahinschmelzen - während er sie mit seinem Blutdurst zugleich zum Frösteln bringt! Romeo sorgt von der ersten bis zur letzten Seite für ein wahres Wechselbad der Gefühle, dem man sich nicht entziehen kann. Auch wenn er der verhasste Schurke ist, wird er viele Leserinnen auf seine Seite ziehen.
Ich bin sehr gespannt auf die Fortsetzung, "Romeo Redeemed", die im Oktober 2012 im Original erscheint und sich näher mit dem bösen Romeo beschäftigen wird. Bitte, INK, spannt uns nicht zu lange auf die Folter!

Der Großteil des Romans wird aus Julias Sicht beschrieben. Jays einfühlsamer und eindringlicher Schreibstil sorgt dafür, dass man jede einzelne Gefühlsregung der Protagonistin am eigenen Leib spüren kann, egal ob Furcht, Ekel und Hass oder Zuneigung, Freude und Liebe. Drei Kapitel schreibt sie allerdings durch Romeos Augen. Während dieser Seiten wird einem ganz anders! Jays Schreibstil wird noch poetischer und lyrischer, obwohl Romeos Gedanken blutdurchtränkt und voller Grausamkeiten sind. Diese starken Kontraste rauben einem wahrlich den Atem!

Die Nebencharaktere mag ich in "Julia für immer" gar nicht als "Neben"figuren bezeichnen! Niemand von ihnen bleibt blass, zu oberflächlich oder gar unwichtig. Jeder einzelne hat seine Rolle in Jays Drama, die die Handlung in entscheidenden Momenten voranbringt. Selbst Ariel, die in diesem Buch der Reihe nicht "geistig präsent" ist, bekommt von der Autorin kleine, aber feine Augenblicke im Scheinwerferlicht. Da sie und Julia sich in ihren Grundzügen nicht so stark voneinander unterscheiden, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, lernt man Ariel sogar durch Julias Geist kennen. Gemma, Ariels beste Freundin, bleibt trotz ihrer großen Bedeutung und ihrer vielen Auftritte die farbloseste Figur des Romans - und das will schon was heißen!

*Cover:*
Ich bin kein Fan von Mädchengesichtern auf Covern und ich werde es auch niemals sein. Aber Ausnahmen bestätigen schließlich die Regel. Das Cover von "Julia für immer" hat irgendwie etwas an sich, was mich sofort begeistern konnte! Allein die Farben und die prächtigen Verzierungen haben mich bei diesem Cover überzeugen können.

*Fazit:*
"Julia für immer" ist ein Buch, das man entweder liebt oder hasst. Die Handlung ist an einigen Stellen sehr überladen, zum Teil sehr kitschig und im nächsten Moment wieder abartig brutal. Mich konnte dieser unnatürliche Mix jedoch voll und ganz überzeugen. Ein spannender Roman, der ab der ersten Seite mit Dramatik, Tragik und Romantik begeistern kann und einen nicht mehr loslässt. Ich bin überwältigt! "Julia für immer" von Stacey Jay bekommt verdiente 5 Sterne!