Rezension

Der schwierige Weg der ersten Avon-Beraterin vor dem Hintergrund von Kriegstraumata, Eifersucht und Emanzipation.

Ein Koffer voller Schönheit -

Ein Koffer voller Schönheit
von Kristina Engel

Bewertet mit 4 Sternen

Lüneburg, 1959: Anne Jensen ist Mitte 30, verheiratet und Mutter zweier Kinder. Ihr Ehemann Benno ist Tischler und hat sich gerade zusammen mit einem Freund mit einem Möbelhaus selbstständig gemacht. Der Krieg ist bereits einige Jahre vorbei, aber belastet sowohl Benno noch, der an der Ostfront kämpfen musste, als auch Anne, die ihren Bruder Fritz verloren hat. Ihre Eltern haben den Verlust noch weniger verkraftet und gerade um ihre Mutter, die psychisch angeschlagen ist, macht sich Anne Sorgen. 
Die Zwillinge sind inzwischen 13 Jahre alt und brauchen Anne nicht mehr so sehr wie früher. Ihre Schwiegermutter Margarethe, die seit Jahren als selbstständige Friseurin arbeitet, unterbreitet ihr deshalb den Vorschlag, als Avon-Beraterin zu arbeiten. Die amerikanische Kosmetikmarke möchte ihren Markt nach Deutschland ausweiten und sucht Vertreterinnen. Anne ist zunächst skeptisch und traut sich die Tätigkeit nicht zu. Zudem fehlt ihr auch das Einverständnis ihres Ehemannes, der aus persönlichem Stolz nicht möchte, dass seine Frau arbeitet. Am Ende gibt "Holzkopp" Benno klein bei, doch ihre Ehe leidet darunter und die Familie droht an den wiederkehrenden Konfrontationen zu zerbrechen. 

Der Roman handelt im Zeitraum von zwei Jahren, von 1959 bis 1961, und befasst sich mit einer Bandbreite an Themen, dass die Tätigkeit einer Avon-Beraterin, Kosmetik und Schminktipps fast ein wenig zu kurz kommt. Er geht auf die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges ein, auf Kriegstraumata und finanzielle Schwierigkeiten trotz Wirtschaftsaufschwungs, aber auch auf die Rolle der Frau, die ersten Schritte der Emanzipation und die persönliche Ehekrise von Anne und Benno. 
Die Geschichte ist abwechslungsreich und fängt den Zeitgeist der damaligen Zeit durch die anschaulichen Beschreibungen der Lebensverhältnisse bildhaft ein. Auch die Charaktere wirken authentisch, wobei der Nebencharakter der Schwiegermutter Margarethe durch ihre resolute und einmalige Art neben der etwas blassen Anne zur eigentlichen Heldin der Geschichte mutiert. 

Mir war die Themenvielfalt des Romans etwas zu viel, weil damit jedes nur oberflächlich bleiben konnte. Nichtsdestotrotz ist es schön zu lesen, wie es Anne schafft, nicht mehr "unsichtbar" zu sein und sich gegenüber ihrem Ehemann, in einer Zeit in der die Rollen noch ganz klassisch verteilt waren, durchzusetzen. Die Handlung ist lebensnah beschrieben und versetzt die Leserin unter Einbeziehung des historischen Kontexts anschaulich in die Jahre 1959 bis 1961.