Rezension

Wissen und Nichtwissen

Das Glashotel -

Das Glashotel
von Emily St. John Mandel

Mysteriös liegt es da, das Glashotel in Caiette, einem kleinen Nest auf Vancouver Island, nur per Schnellboot erreichbar. Ein Refugium der Ruhe, zum Abschalten. Wenn da nicht diese Worte auf einer Glasscheibe prangen würden: „Schlucken Sie doch Glassplitter.“

Worte, die bei der Belegschaft Bestürzung auslösen. Schnell wird der mögliche Täter ausgemacht. Paul, der Bruder von Barkeeperin Vincent, der erst seit kurzem im Hotel arbeitet. Er verschwindet am nächsten Morgen – und komplett aus Vincents Leben, die das Glashotel nur kurze Zeit später mit dem Hotelbesitzer und Investmentbanker Jonathan Alkaitis verlässt. Was hinter der Botschaft steckt? Das wird erst spät im Buch aufgelöst.

Das Glashotel ist ein überraschender Roman. Der Einstieg – kleine Erinnerungsfetzen, kurze Sätze – der Klappentext mit Fokus auf dieses Luxushotel im Nirgendwo, das lässt einen geheimnisvolle, tragische Familiengeschichte erahnen. Eigentlich aber ist es ein Buch über die Machenschaften von Bernard Madoff, der im Zuge der Finanzkrise 2008 zahlreiche Investoren in den finanziellen Ruin gerissen hat und in Emily St. John Mandels Roman von eben jenem Jonathan Alkaitis verkörpert wird. Und es ist eine Geschichte, in der alles, wirklich alles, eng miteinander verwoben ist. Und gleichzeitig auch geheimnisvoll und tragisch.

Emily St. John Mandel springt von Figur zu Figur, von Zeit zu Zeit. Sie nimmt sich letztere, um Personen vorzustellen, die dann für hunderte von Seiten in Vergessenheit geraten, um dann – zumindest zum Teil – doch wieder aufzutauchen. Sie spinnt eine Geschichte, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts und ins Jahr 2029 reicht. Sie zeigt das tragische Schicksal kleiner Anleger und großer Investoren, die in Alkaitis System eingezahlt haben, wissend oder nicht, was alles passieren kann. Und auch das seiner Familienangehörigen und seiner engsten Mitarbeiter, deren Leben auf den Kopf gestellt wird.

Manche Figuren, manche Schicksale, hätten vielleicht mehr Seiten verdient gehabt, nicht alle kleinen Geschichten wirken ganz zu Ende gebracht, wirken wie kleine Ausschnitte, Blitzlichter aus einem Leben, so wie die Fünf-Minuten-Videos, die Vincent im Laufe des Buches immer wieder aufnimmt. Aber Das Glashotel ist auch ein intensiver, brillant geschriebener Roman über das Wissen und Nichtwissen von Menschen, die Grenzen überschreiten und Grenzüberschreitung beobachten. Und über die vielen Schicksale, die Jonathan Alkaitis aka Bernard Madoff zu verantworten hat – ohne, dass das der Roman ein eintöniges Sachbuch über die Finanzkrise und Investmentbetrug ist.