Rezension

Schwebend

Das Glashotel -

Das Glashotel
von Emily St. John Mandel

Bewertet mit 5 Sternen

Emily St. John Mandel ist eine Entdeckung für mich. "Das Glashotel" ist ein sehr besonderer Roman, völlig anders als erwartet. Nicht nur, dass das Ende direkt am Anfang vorweggenommen wird, insgesamt scheinen Zeit und Raum aufgehoben; sogar zwischen Leben und Tod verwischen sich die Grenzen. Der Roman bekommt dadurch etwas Schwebendes, eine ganz besondere Atmosphäre.

Es geht um das Geworfensein der Menschen und die Unberechenbarkeit des Lebens - vor allem in den USA natürlich ein Riesenthema. Wir verfolgen den Lebensweg von Vincent, einer jungen Frau aus British Columbia, deren Leben sich immer wieder radikal ändert - weil sie es so will. Für die anderen Protagonisten gibt es ähnlich abrupte Veränderungen, nur sind diese eher unfreiwillig und werden durchweg ausgelöst durch einen Asset Manager, der über Jahrzehnte ein betrügerisches Schneeballsystem betrieben hat, bis er schließlich auffliegt. Die Menschen, die er um ihr Geld gebracht hat, stürzen teils aus beträchtlichen Höhen ab. Ein weiteres Thema in diesem Zusammenhang ist die Frage der menschlichen Korrumpierbarkeit und die Fähigkeit zum Selbstbetrug. Auch das kongenial behandelt. Von der sensiblen Sprache, die sich ganz unprätentiös zurücknimmt, war ich ebenfalls sehr angetan.

Der Roman besteht aus einer Reihe von Perspektiven, die nicht nur personell, sondern auch zeitlich sehr springen. Das stellt eine gewisse Herausforderung dar, aber ich fand es interessant. Alle malen sich neben ihrem "realen" Leben noch ein "Anderleben" aus, alternative Lebensläufe, wie Jonathan, der Asset Manager, der zu 170 Jahren Gefängnis verurteilt worden ist und sich aus dem Knastleben herausdenkt. Was wäre gewesen, hätte er andere Entscheidungen getroffen? Dazu kommt etwas, das ich mich scheue, magischen Realismus zu nennen, so organisch ist es in die Story eingewoben. Im Roman ist außerdem oft von einem "Schattenleben" die Rede, jene prekäre Existenzen, deren Leben man sich nicht vorstellen kann - bis man selbst in diese Schattenwelt geworfen wird. Das wird unglaublich einfühlsam beschrieben.

Vom mir eine große Empfehlung - ich werde auf jeden Fall weitere Bücher der Autorin lesen.