Rezension

Wichtiges, feministisches Thema, aber leider enttäuschende, oberflächliche Umsetzung

Nie, nie, nie -

Nie, nie, nie
von Linn Strømsborg

~ „Nie, nie, nie“ ist ein feministisches Buch, das zwar ein wichtiges Thema anspricht, das sein großes Potential aber leider nicht nutzen kann. Besonders enttäuscht haben mich der lieblos wirkende Schreibstil, die blassen, austauschbaren Figuren und die Oberflächlichkeit. Wer sich noch nie zuvor mit gewollter Kinderlosigkeit bei Frauen beschäftigt hat, kann diesem Werk vielleicht etwas abgewinnen, aber alle anderen werden mit Tanja Raichs großartigem, thematisch ähnlichem Buch „Jesolo“ vermutlich mehr Freude haben. ~

Inhalt

Sie ist Mitte 30, in einer glücklichen Beziehung und will keine Kinder. Weder heute noch morgen, sondern nie, nie, nie. Wie lebt es sich als gewollt kinderlose Frau und welche Auswirkungen hat diese Entscheidung auf die Beziehungen in ihrem Leben (Mutter, Freund·innen, Lebensgefährte)?
 
Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: lang
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Sexismus, übergriffiges Verhalten, Abtreibung, Fehlgeburt
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Warum dieses Buch?
 
Über dieses Buch hatte ich im Vorfeld nur Gutes gehört, zudem ist das Thema für mich als Feministin und aktuell kinderlose und sehr wahrscheinlich für immer kinderlos bleibende Frau höchst relevant!
 
Meine Meinung

Einfach, oberflächlich und etwas lieblos (Schreibstil: 2 Lilien)

Nach all den positiven Rezensionen, die ich zu diesem Buch gelesen hatte, erwartete ich mir richtig gute Literatur. Umso ernüchterter war ich nach den ersten Seiten: Der Schreibstil ist sehr einfach gehalten, es gibt einige Wiederholungen und leider keine sprachliche Abwechslung. Die Sprache wirkt nicht nur oberflächlich und distanziert, sondern auch ein wenig wie lieblos hingeklatscht. Mich konnte sie leider nicht überzeugen!

Wichtiges Thema, enttäuschende Umsetzung (Geschichte, Handlung & Themen: 3 Lilien)

„‘Und wenn ich nicht aus der Stadt ziehen, eine Familie gründen und jemand anderes werden will – bin ich dann nicht erwachsen? Oder kann man auch erwachsen sein, wenn man andere Träume und Wünsche hat als DAS?‘“ E-Book, Position 533

Als kinderlose Frau hat man leider auch im Jahre 2022 noch mit viel gesellschaftlichem Gegenwind zu kämpfen. Es wird einem so lange eingeredet, dass man in irgendeiner Form „defizitär“ sei, dass etwas nicht mit einem stimme, bis man es irgendwo tief in sich drinnen zu glauben anfängt. Und das finde ich sehr traurig! Warum darf man alles im Leben selbst entscheiden - ob man einen Hund will, welchen Beruf man ausübt, ob man sich ein Auto oder Haus kauft –, aber beim Kinderkriegen hören der Spaß und die Entscheidungsfreiheit auf? Warum?! Das ist inakzeptabel!

Übergriffige Fragen, Ratschläge und hin und wieder auch Beleidigungen sind ab Mitte 20 an der Tagesordnung, sobald man in einem Gespräch sagt, dass man keine Kinder haben möchte (wie ich aus eigener Erfahrung weiß). Mir wurde schon vorgeworfen, dass mein Leben ohne Kinder keinen Sinn hätte, dass ich eine Therapie machen solle, dass irgendetwas mit mir nicht stimme. Mir wurde prophezeit, dass ich meine Meinung sicher, ganz sicher noch ändern werde, sobald ich meinen Traummann treffe (klar, dann werfe ich alle meine Wünsche und Prinzipien über Bord, das klingt nach einer tollen, gesunden Beziehung!). Mir wurde eine Zukunft voller Einsamkeit ganz alleine im Altenheim vorausgesagt. Ein besonders misogynes Exemplar von Mann hat mir sogar verraten: Wenn es nach IHM ginge, müssten alle Frauen mindestens ein Kind bekommen, denn sonst würden wir so schrecklich verbittert werden („Der Report der Magd“ lässt grüßen). Am liebsten mag ich aber immer noch den Egoismus-Vorwurf, dabei ist die Entscheidung für Kinder genauso egoistisch wie die dagegen – das muss endlich mal in den Köpfen ankommen! Denn niemand bekommt (hoffentlich!) nur Kinder, um die zukünftigen Pensionen zu sichern, sondern man bekommt Kinder, weil man im Alter nicht alleine sein will, weil man denkt, dass ein Kind das eigene Leben bereichern wird, weil man etwas in der Welt hinterlassen will, wenn man tot ist. Es gibt allerdings mindestens so viele Gründe gegen Kinder wie dafür – wenn nicht mehr, wenn man ans Klima und den CO2-Fußabdruck denkt.

Doch nun zurück zum Buch: Einer der Hauptgründe der kinderlosen Protagonistin ist die gesellschaftliche Erwartung, dass man sich als Mutter bis zu einem gewissen Grad selbst aufzugeben habe, dass man nicht mehr in erster Linie eine Frau mit Hobbies und Interessen, sondern eine aufopferungsvolle Übermutter sein solle. Die Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, die gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter und der Gegenwind, wenn man keine sein möchte – diese Themen sind aus feministischer Sicht hoch interessant und relevant und müssen endlich angesprochen und öffentlich diskutiert werden. Deshalb war ich auch Feuer und Flamme, als ich den Klappentext gelesen habe und habe ein revolutionäres Buch erwartet, das den Finger in die Wunde legt. Leider kann die Autorin dieses Potential nicht nutzen, denn ihr Buch bleibt über weite Strecken (das letzte Drittel ist etwas stärker) sehr oberflächlich, geht nicht in die Tiefe, bringt kaum neue Erkenntnisse, ja, ist schlicht langweilig und behandelt das wichtige Thema nicht so, wie ich mir das gewünscht hätte. Das Buch hat mich deshalb leider enttäuscht.

Wer sich für das Thema Kinderkriegen in einer patriarchalischen Welt (in der wir immer noch leben) interessiert, sollte besser zu Tanja Raichs kritischem, beklemmendem und großartigem Buch „Jesolo“ greifen, das eine Frau begleitet, die sich zu Kindern überreden lässt und mit dieser Entscheidung dann sehr unglücklich ist.

Langweilig, belanglos, deprimierend (Atmosphäre & Spannung: 2 Lilien)

„Eltern warten auf ein Danke, Kinder auf eine Entschuldigung. Keiner kriegt, was er sich wünscht.“ E-Book, Position 1943

Ich hatte gehofft, dass mich das Buch fesseln und berühren würde, empfand es dann aber leider stellenweise als sehr langweilig und viele der geschilderten Alltagsszenen als belanglos. Wäre das Buch nicht so kurz gewesen, hätte ich es bestimmt abgebrochen. Ich dachte, dass wir hier auf eine starke Frau treffen würden, die mit ihrer Entscheidung gegen Kinder im Reinen ist (vielleicht sogar auf ein feministisches Vorbild), aber sie scheint ihr Leben nicht wirklich zu genießen, wirkt unentschlossen, unzufrieden und irgendwie unglücklich und wie paralysiert, weshalb ich das Buch derart deprimierend fand, dass ich ernsthaft überlegt habe, ob ich nicht vielleicht doch Kinder bekommen sollte, einfach nur, um nicht so zu enden wie sie – und das kann doch nicht die intendierte Wirkung gewesen sein!

Distanz & Austauschbarkeit (Protagonistin: 3 Lilien, Figuren: 2 Lilien)

Mir war die Protagonistin nicht unsympathisch – mich mit ihr identifizieren und eine richtige Verbindung zur ihr aufbauen konnte ich trotzdem nicht. Dazu war einfach zu viel Distanz zu ihr da; ich hatte den Eindruck, dass sie die Leser·innen nicht so richtig an sich heranlässt. Die Charakterzeichnung lässt zudem zu wünschen übrig, denn der Heldin fehlen Ecken und Kanten und eine interessante Persönlichkeit, was sie und die anderen Figuren leider sehr blass und austauschbar macht. Wäre dieses Buch eine Suppe, dann würde hier eine große Prise Gewürze und Salz fehlen. Hier habe ich mir wirklich viel mehr erhofft!

Vorbildlich (Feminismus: 5 Lilien ♥)

„Ich denke immer noch an […] Mütter, die am Bett ihres Kinds stehen, das nicht schlafen will, sie reden auf es ein, erst streng, dann sanft und leise und schließlich mit tränenerstickter Stimme, kannst du nicht wenigstens kurz die Augen zumachen, Mama muss auch ein bisschen schlafen […]“ E-Book, Position 839

Zumindest aus feministischer Sicht gibt es hier nichts zu meckern. Die Autorin spricht ein wichtiges Thema an, das viele Frauen beschäftigt und kritisiert starre Rollenbilder. Zudem trifft die Hauptfigur kompromisslos ihre eigenen Entscheidungen und lässt sich von niemandem zu Dingen überreden oder drängen, die sie nicht möchte. Dafür gibt es ein großes Lob und einen Extrapunkt – den dieses Buch allerdings auch dringend benötigt!

Mein Fazit

„Nie, nie, nie“ ist ein feministisches Buch, das zwar ein wichtiges Thema anspricht, das sein großes Potential aber leider nicht nutzen kann. Besonders enttäuscht haben mich der lieblos wirkende Schreibstil, die blassen, austauschbaren Figuren und die Oberflächlichkeit. Wer sich noch nie zuvor mit gewollter Kinderlosigkeit bei Frauen beschäftigt hat, kann diesem Werk vielleicht etwas abgewinnen, aber alle anderen werden mit Tanja Raichs großartigem, thematisch ähnlichem Buch „Jesolo“ vermutlich mehr Freude haben.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 2 Lilien
Einstieg: 3 Lilien
Ende: 3 Lilien
Schreibstil: 2 Lilien
Protagonistin: 3 Lilien
Figuren: 2 Lilien
Spannung: 2 Lilien
Atmosphäre: 2 Lilien
Emotionale Involviertheit: 3 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: sehr niedrig

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir gut gemeinte 3 Lilien!