Rezension

Wer sind jetzt die Monster?

Die Voliere - Marc-Oliver Bischoff

Die Voliere
von Marc-Oliver Bischoff

Bewertet mit 5 Sternen

„Obwohl ich nicht damit gerechnet habe, freue ich mich darauf, das Gefängnis nach über zwanzig Jahren zu verlassen. Ich habe meine Strafe verbüßt. Ich habe alles getan, um zu verhindern, dass ich rückfällig werde. Aber ich fürchte trotzdem, dass alles in einem Fiasko endet. Wir sind wie Aussätzige. Niemand will uns in seiner Nähe haben. Und die Medien und die Technologie sorgen dafür, dass alle Welt jederzeit über unseren jeweiligen Aufenthaltsort informiert ist.“ (S. 47f)

Nach über zwanzig Jahren Haft sollen nun drei Männer aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden. Die Verbrechen, wegen derer sie verurteilt worden, sind geeignet, bei den meisten Menschen große Angst auszulösen. Die Psychologin Nora Winter soll den Wiedereingliederungsprozess beratend unterstützend, aber ist eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft für solche Männer überhaupt möglich?

Auch ohne Schwierigkeiten von außen stellt das Leben in „Freiheit“ die Entlassenen vor große Probleme. Nicht jeder schafft es, sein Leben wieder zu organisieren. Und haben die Männer tatsächlich ihre gefährlichen Neigungen im Griff? Waren die Therapien wirklich erfolgreich? Dazu reagieren die Nachbarn mit deutlicher Ablehnung, die sich zur Panik steigert, als in der Gegend ein Junge verschwindet. Und dann gibt es auch noch Menschen, die diese Situation für ihre Zwecke ausnutzen wollen – das ganze wird zum Politikum.

Was für ein Buch! Ich bin restlos begeistert! Die Umsetzung des Themas ist wirklich gelungen! Während des Lesens wurde ich einem Wechselbad der Gefühle unterzogen, denn der Autor schafft es, weder die Taten und die Gefährlichkeit der Männer zu beschönigen oder zu gering zu schätzen, noch die Ängste und Sorgen der „normalen“ Menschen zu vernachlässigen. Manches, was die ehemaligen Straftäter getan hatten oder im Verlauf des Buches tun, jagte mir Schauer über den Rücken. Und im nächsten Moment machen „ordentliche Bürger“ Dinge, bei denen ich fassungslose dachte: Wer sind jetzt die Monster? Die Spannung reißt keinen Moment ab und von Anfang an merke ich, so wie einer der Männer, den ich zu Beginn der Rezi zitiert habe, dass alles auf ein Fiasko – eine Katastrophe – zusteuert. Nur dass ich keine Ahnung habe, wie die aussehen wird…

Ich muss gestehen, ich bin bislang nicht so differenziert an die Thematik herangegangen. Wenn in meiner Nachbarschaft jemand einziehen wollte, der Kinder missbraucht und ermordet hat, wäre ich auch dagegen. Und als neben der Schule meiner Tochter eine forensische Klinik eröffnet wurde, dachte ich ebenfalls: „Bitte nicht hier!“. Insofern hat mir das Buch sehr zu denken gegeben. Ich habe immer noch Angst, aber ich weiß nun, dass man es sich mit diesem Thema nicht zu leicht machen sollte.

Vielen Dank Doreen für die tolle Empfehlung und fürs Leihen!