Rezension

Ungewöhnliche Kombination der Themen

Wilde Freude
von Sorj Chalandon

Bewertet mit 3 Sternen

Die kleine Jeanne gibt´s nicht mehr

„Dies ist die Geschichte von vier Frauen. Sie wagten sich sehr weit vor. In die tiefste Dunkelheit, in die größte Gefahr, in den äußersten Wahnsinn.“

Inhalt

Kurz nach ihrer Brustkrebsdiagnose bricht für die Pariser Buchhändlerin Jeanne eine Welt zusammen, nicht nur das ihr Mann sie verlässt, weil er sich angeblich nicht mit ihrem Leidensweg auseinandersetzen kann und sie sich mit einer langwierigen Chemotherapie abfinden muss, nein gerade jetzt steht sie ganz allein da, wo sie doch ohnehin schon schwer am Tod ihres jung verstorbenen Sohnes zu tragen hat.

Während ihrer Chemotherapie begegnet sie der einnehmenden Brigitte, die nicht nur einen Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, sondern mittlerweile mit zwei anderen Frauen, die beide ebenfalls an Krebs erkrankt sind, zusammenwohnt. Und kurzerhand bietet Brigitte der verzweifelten Jeanne an, dass sie doch mit in die Frauen-WG ziehen könnte. Aus Mangel an Alternativen nimmt die Buchhändlerin an, obwohl sie wenig später immer mehr aus den zerrütteten Leben ihrer Leidensgenossinnen erfährt.

Sie alle sind krank, sie alle wurden hintergangen und jede muss den Verlust eines Kindes hinnehmen, wenn auch unter vollkommen gegensätzlichen Ausgangssituationen. Für Melódy, die zarteste der vier Damen, ist es gerade deswegen hart, weil ihr russischer Ex-Mann die gemeinsame Tochter entführt hat und sie nur gegen eine hohe Lösegeldforderung zurückgeben wird. Die Frauen schmieden einen Plan, wie sie möglichst schnell an die enorme Summe Bargeld kommen könnten und begehen im Angesicht vollkommener Unerschrockenheit aufgrund ihrer Gesundheitssituation ein Verbrechen …

Meinung

Der zeitgenössische französische Journalist und Autor Sorj Chalandon, konnte mich 2019 mit seinem Roman „Am Tag davor“ absolut begeistern, so dass ich unbedingt ein weiteres Buch aus seiner Feder lesen wollte. Der Klappentext dieses Buches klang gar nicht schlecht, so dass meine Wahl auf die wilde Geschichte von vier Frauen gegen den Rest der Welt fiel.

Die Kombination zwischen Leidensgeschichte mit anschließender Kriminalhandlung ist vielleicht keine klassische Wahl für einen Roman aber doch eine Möglichkeit die Schrecken der Krankheit zu mildern und anstelle von Angst, Sorgen und Kummer die Kraft der Freundschaft und des Zusammenhalts in den Fokus zu rücken. Doch leider ist das meines Erachtens nicht so ganz gelungen.

Im ersten Teil des Buches begleitet der Leser vor allem Jeanne, die durchaus Mitleid erweckt, nicht nur wegen ihrer Diagnose und des verstorbenen Sohnes, sondern in erster Linie, weil sie selbst immer so angepasst gelebt hat, um es allen anderen Recht zu machen und sich dabei schon lange aus den Augen verloren hat. Obwohl die Lektüre gerade am Anfang mental befangen macht, steckt man irgendwann ganz und gar drin und hofft auf etwas Sonnenschein für die gebeutelte Protagonistin. Allerdings empfand ich die Tatsache, dass sie sich in der Frauen-WG einlebt, irgendwie unpassend und auch nicht sonderlich erbauend für Jeanne. Im Folgenden entwickelt sich der Text zu einer temporeichen Geschichte, die absolut zum Umblättern animiert, weil man doch sehr gespannt ist, wie der geplante Coup auf ein renommiertes Pariser Juweliergeschäft ausgehen wird.

Dennoch ist das mein größter Kritikpunkt: die Ernsthaftigkeit der Ausgangssituation gerät aus dem Blickfeld, um einer irgendwie ausweglosen Situation eine andere Richtung zu geben. Dabei kommen sich die Frauen nicht etwa näher, weil sie tatsächlich aneinander interessiert sind und sich gut verstehen, nein es ist ihr gemeinsamer Plan, der sie eint, selbst wenn sie sich untereinander gar nicht besonders mögen. An dieser Stelle habe ich mich bemüht, mich in die Gedankenwelt der Protagonistin einzufühlen, allerdings ist es mir absolut nicht gelungen, ihre Handlungen nachzuvollziehen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie diese charakterliche Kehrtwende zu erklären ist, vielleicht bin ich auch nur zu realistisch, um an einer solchen Wandlung Gefallen zu finden.

Nichtsdestotrotz hat mir das Buch schöne Lesestunden beschert, denn es ist sehr munter und fließend geschrieben, die Bildhaftigkeit der Situationen hat mich mehr und mehr davon überzeugt, dass mir eine Verfilmung dieser Geschichte wesentlich mehr Freude bereitet hätte, als die schriftliche Form.

Fazit

Ich vergebe 3 Lesesterne für diesen bildhaften Roman der sehr genau die Grenze zwischen Krankheit, Hoffnung und Verderben auslotet, der eine sehr eingängige Sprache und einen interessanten Plot bietet und der geschickt an den Klischees vorbeizieht, so dass man meinen könnte, den Frauen tatsächlich nahe zu kommen. Doch für mich ergibt sich kein rundes Bild, weil sich die Krankheit und das aufgesetzte Spiel mit den Spielzeugwaffen nicht sonderlich gut vertragen. Der Roman hätte mich mehr beeindruckt, wenn er entweder so tiefgründig und leicht depressiv wie zu Beginn geblieben wäre oder von Anfang an eine Geschichte voller Risikobereitschaft und Aberwitz vermittelt hätte. Und wenn man diese beiden Dinge kombiniert, dann vielleicht doch lieber in einem Film - denn an dieser Stelle, kann ein passender Schauspieler durch Mimik, Gestik und Interaktion viele Lücken füllen. Für mich ist ganz klar, ich werde ein weiteres Buch des Autors zur Hand nehmen, denn von seiner Art zu erzählen bin ich sehr angetan.