Rezension

Packend, verstörend und einprägsam

Der Zorn des Lammes - Johannes Groschupf

Der Zorn des Lammes
von Johannes Groschupf

Bewertet mit 4 Sternen

Eine neue Stadt, ein Neuanfang, ein anderes Leben fern unausgesprochener Schuldzuweisungen und alter Ängste…
Doch auch hier lauert die Gefahr.

 

Jazz will die Vergangenheit einfach nur hinter sich lassen. Das Praktikum einer bekannten Tageszeitung in der deutschen Hauptstadt scheint da die ideale Gelegenheit zu sein, um dem zu entkommen, was sie seit ihrer Kindheit quält: Der Unfalltod ihres kleinen Bruders, an dem sie sich selbst die Schuld gibt.
Auch Milan flüchtet vor allem vor dem, was er getan hat. In einem abbruchreifen, leer stehenden Haus hat er sich sein eigenes Reich in seiner eigenen Welt geschaffen. Dann begegnet er Jazz und sie geht ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er will unbedingt mit ihr zusammensein und würde alles für seine Vorstellung von einer gemeinsamen Zukunft tun. Sogar Gewalt anwenden und töten.

 

 

Ich weiß noch, dass ich die Leseprobe zu dem Buch auf der Leipziger Buchmesse mitgenommen habe, und sie hat mich nicht mehr losgelassen. Daher musste ich unbedingt den Rest lesen, der mich beinahe genauso geflasht hat.
Das lag vor allem an den beiden Hauptfiguren. Gerade die Tatsache, dass es Johannes Groschupf schafft, zwei so gegensätzliche Perspektiven einander so gegenüberzustellen, dass es einen gruselt, hat mich am meisten begeistert. Jazz ist eine interessante junge Frau, ziellos, etwas naiv und unsicher, was das andere Geschlecht angeht, aber auch regelrecht auf der Flucht vor Erlebnissen als Kind, die sie einfach nicht mehr loslassen. Sie versucht, sich zurechtzufinden und einen Neuanfang zu wagen, und deswegen trifft es den Leser hart, was mit ihr geschieht. Ansonsten fällt es etwas schwer, besonders zu Anfang, sich in sie hineinzudenken und mit ihr warm zu werden, weil sie sich sehr distanziert gibt.
Milan ist da trotz seines Wahns weitaus zugänglicher, was die Lektüre schon etwas beklemmend werden lässt. Man dringt förmlich in den Kopf dieses psychisch kranken Mannes ein, ob man es will oder nicht und wird regelrecht Teil seiner Vorstellung, die umso erschreckender ist, weil sie mit der Realität kaum etwas gemein hat.

 

Der Schreibstil ist eher schlicht und direkt gehalten. Die meist kurzen, knappen Sätze erzeugen die richtige, eindringliche Hintergrundatmosphäre für die einzelnen Szenen. Dem Autor gelingt es, die Umgebung derart passend kalt, emotionslos und abweisend zu beschreiben, dass der Leser ein Berlin kennenlernt, welchem er lieber nicht so schnell einen Besuch abstatten würde. Natürlich wird das der Stadt in ihrer Gesamtheit nicht gerecht. Aber eben für eine solche Geschichte sind die düsteren Ecken die perfekte Kulisse, auch da sie die Stimmungen der Protagonisten wunderbar wiedergeben.
Gleichzeitig entsteht eine Spannung, die eine fast schon perverse Sogwirkung erzeugt. Eigentlich möchte man ja nicht wissen, was diesem jungen Mädchen alles zustoßen wird, doch einfach abschalten kann man nicht, gerade aufgrund der wechselnden Perspektiven zwischen Milan und Jazz, die oft an markanter Stelle ineinander übergehen.
Trotzdem muss ich gestehen, dass es mir bei der Story gefühlsmäßig an Tiefe gefehlt hat. Häufig ist man lediglich ein Beobachter, selbst in den gewaltfreien Abschnitten. Und vor allem in Jazz’ Fall fand ich das sehr schade: Ihre tragische Vergangenheit bietet soviel Potenzial, da hätte ich gerne wesentlich mehr mit ihr mitgelitten.

 

 

Mit Der Zorn des Lammes ist Johannes Groschupf ein beklemmender Jugendthriller gelungen. Indem er die beiden Perspektiven von Täter und Opfer gegenüberstellt, schafft er eine beeindruckende Story. Sein schlichter Schreibstil und die einfachen, fast schon lieblosen Beschreibungen der Stadt erzeugen eine dichte Atmosphäre, der man sich kaum entziehen kann und die perfekt zur Geschichte passt.
Leider konnte ich nicht immer eine gefühlsmäßige Bindung zu Jazz herstellen, wie ich es gerne gehabt hätte. Dazu fehlte einfach an einigen Stellen die emotionale Tiefe, was bei dem ernsten, unglaublich realen Thema sehr schade ist.
Dennoch kann ich den Roman jedem empfehlen, der fesselnde und verstörend intensive Bücher im Young Adult Bereich liebt!