Rezension

Lebensthema Jugendliebe

Das Archiv der Gefühle -

Das Archiv der Gefühle
von Peter Stamm

Bewertet mit 5 Sternen

Dieser Kurzroman ist die Geschichte eines mittlerweile arbeitslosen Mannes, der über weite Strecken seines Lebens zurückschaut und sich immer bezogen auf seine große Jugendliebe Franziska besinnt und erinnert.
Ein Archivar, der ohne Namen bleibt und in der Ich-Form erzählt.
Er hat sich privat ganz für sich und beruflich zeitlebens in einem Pressehaus eingerichtet und schließlich ins geerbte Haus der Mutter zurückgezogen.

Seine Schulfreundin Franziska, die spätere Chansonette Fabienne, taucht immer wieder in seinen Erinnerungen und Selbstgesprächen auf. Sie ist sehnsuchtsvolles Begehren und angstvolle Ahnung zugleich.
Drei weitere Frauen bestimmen Phasen seines Lebens, ohne dass seine Sehnsucht nach Franziska verblasst. Es sind eine Kommilitonin, eine Kollegin im Archiv und eine ehemalige Klassenkameradin.

Der Ich-Erzähler verliert sich in seiner Ordnung und genügt sich im Sortieren, Aufbewahren und stetem Erinnern. Sein Leben ist sehr stark vom Erinnern und Bedauern geprägt. Er gefällt sich in seinem Rückzug und Verharren.

Peter Stamm führt mich sehr einprägsam und bildhaft in diese Welt seines Protagonisten ein, der eher für sich und mit seinen zeitweisen Beziehungen scheinbar nebenher lebt und sich stetig seiner Jugendliebe besinnt.
Hierbei kann ich dem Autor gut in das Labyrinth seines inneren Archivs folgen, es ist für mich fast spürbar, wie er mit seinen Akten und Unterlagen verwächst, als würde ein altes unbewohntes Haus von der Natur ringsherum verschlungen werden. In gewisser Weise kann ich die Furcht und Flucht aus seinen Beziehungen nachempfinden. Seine Erinnerungen an Franziska sind sehr intensiv an seine Gefühle und Gedanken gebunden. Zögern und Zaudern beim Eingestehen der Liebe und seine und die Erwartungen der Frauen erscheinen mir dabei treffend gefasst, die Atmosphäre der jeweiligen Beziehungen sehr eindrucksvoll gestaltet, besonders die Art und Weise des Abschiednehmens ist mir in Erinnerung.

Ich spüre eine recht tiefe Traurigkeit und Melancholie, die diesen Roman durchweht und größtenteils prägt - wunderbare Naturbilder von Wasser und Wetter beschreiben die Stimmungen und Erlebnisse des Archivars.
Alles ist so kunstvoll miteinander verwoben, dass ich genau hinsehen und oft noch einmal nachlesen muss, was wie gesagt oder nur gedacht wurde und was wirklich geschah. Die Übergänge sind fließend. Ich gerate beim Lesen in einen Sog und berausche mich an Sätzen oder Wörtern oder erschauere ein wenig, wenn ich auf Trostloses treffe. Es hallt noch eine ganze Weile in mir nach.

Zum Ende hin erblicke ich einen Hoffnungsschimmer.
F. richtet den Blick des Ich-Erzählers ganz konkret auf die Schweizer Berge...
"Wenn du ganz genau hinschaust, ahnst du vielleicht, dass da in der Ferne noch etwas kommt."

Dahinter sehe ich eine mögliche Hinwendung sowohl des Romanhelden als auch eines Menschen in einem schon reiferen Lebensalter.