Rezension

Eine bewegende Familiengeschichte

Die Wahrscheinlichkeit des Glücks - Gisa Klönne

Die Wahrscheinlichkeit des Glücks
von Gisa Klönne

Bewertet mit 5 Sternen

„Die Wahrscheinlichkeit des Glücks“ ist ein Mehrgenerationenroman, ein Stück europäischer Nachkriegsgeschichte und vor allem ein Frauenroman um drei Frauen aus einer Familie. Aufmerksam geworden bin ich auf das Buch durch die so schön gelungene Covergestaltung, die mich sofort begeistert hat.

Im Zentrum der Geschichte steht die sympathische, wenn auch alles andere als fehlerfreie Protagonistin Frieda, die durch den Unfall ihrer Tochter Aline, einer Balletttänzerin mit einem Engagement an einem Berliner Theater und einer großen Ballettkarriere vor sich, aus ihrem gewohnten Leben gerissen wird. Auch die Beziehung zu Friedas Mutter Henny, die in einem Altenheim lebt und manchmal nicht mehr weiß, in welcher Zeit sie gerade lebt und ihre Mitmenschen nicht immer zuverlässig einordnen kann, wird so neu auf den Prüfstand gestellt. Das zwischen den Frauen tiefe Klüfte liegen, angefüllt mit Schweigen, Missverständnissen und verletzen Gefühlen, wird schnell klar.

Die Astrophysikerin Frieda ist ein rationaler Mensch, begeisterte Wissenschaftlerin, die ganz in ihrem Beruf aufgeht und sich leidenschaftlich der Suche nach Exoplaneten hingibt. Eine enge Bindung hat sie weder an ihre Tochter, noch an ihre Mutter, obwohl sie beide inniglich liebt. Ihre vermeintliche Gefühlskälte macht sie nicht gerade zu einem Charakter, dem alle Lesersympathien auf den ersten Seiten zufliegen. Erst langsam baute ich eine Beziehung zu Frieda auf, fühlte mit ihr, konnte sie verstehen.

 

Überhaupt hat das sperrige, teil trotzige Schweigen in dieser Familie Tradition und nach und nach erfährt man, warum über vieles nicht gesprochen wurde. Zu viel Unaussprechliches geschah in der Nachkriegszeit, zu viel Kummer hat jede Frau tief in sich hinein gefressen, zu sehr ist man an das nicht miteinander reden gewöhnt. Ein rotes Halstuch der Großmutter Henny, das sie ihrer Enkeltochter schenkt, von dem die eigene Tochter aber nichts wusste, bringt die gewohnte Ordnung durcheinander. Es stammt aus Hennys Heimat Siebenbürgen in Rumänien, wo sie als Teil der deutschen Minderheit aufwuchs und Kindheit und Jugend verbrachte, bis nach dem 2. Weltkrieg sehr viele Deutsche in Lager kamen. Ein Aspekt der Siebenbürger Geschichte, der mir bis zu diesem Buch unbekannt war.

Frieda begibt sich auf Spurensuche, doch ihre Tochter, die im Koma liegt und ihre demente Mutter können ihr dabei nicht helfen.

Sie lernt den Erotik-Schriftsteller Arno kennen, auch er stammt von Siebenbürger Sachsen ab und hilft ihr mehr und mehr, die verworrenen Zusammenhänge zu entwirren. Arno ist ein ganz anderer Typ als Frieda und dennoch scheint die beiden etwas zu verbinden und sie spüren eine starke Anziehungskraft. Arno ist eine interessanter Gegenpol zu der rationalen Frieda, die dann doch so viel mehr Herz hat, als sie oft zugibt.

 

Frieda findet heraus, dass sie den Menschen, der ihre Mutter wirklich war gar nicht kannte, dass sie kaum etwas über ihr Leben in Siebenbürgen weiß und dass sie von Leuten belogen wurde, denen sie glaubte, vertrauen zu können. Das ist eine spannende und durch die familiären Zusammenhänge sehr emotionale  Erkundungsreise.

Die Charaktere werden in ihren Stärken und Schwächen nachvollziehbar gezeichnet, so dass auch die größtenteils gestörten Mutter-Tochter-Beziehungen, sowohl zwischen Henny und Frieda, als auch zwischen Frieda und ihrer Tochter verständlicher werden. Der vielschichtige Roman ist ein Stück europäischer Geschichte, ein Stück deutscher Geschichte und man lernt einiges über die Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Es ist aber auch ein emotionales Lehrstück darüber, was Schweigen innerhalb einer Familie anrichten kann und welche Folgen Vertrauensmissbrauch haben kann.

Ich fand das Buch sehr spannend zu lesen und habe mich gut unterhalten gefühlt. Ein Buch, dass man auch gerne nach einigen Jahren erneut in die Hand nimmt.