Rezension

Eindrücklich, bedrückend, gut gemacht!

Deutschland misshandelt seine Kinder - Michael Tsokos, Saskia Guddat

Deutschland misshandelt seine Kinder
von Michael Tsokos Saskia Guddat

Bewertet mit 4 Sternen

Das Buch war sehr bedrückend. Und dabei wirklich, wirklich gut. Doch wie schreibt man angemessen über ein so wichtiges Sachbuch? Und vor allem ohne dass die Rezension völlig ausartet…

“Dies ist ein Debattenbuch aus rechtsmedizinischer Sicht: Im Mittelpunkt unserer Fallberichte, Überlegungen und Forderungen stehen die unterschiedlichsten Formen körperlicher Kindermisshandlung mit oder ohne Todesfolge.” (S. 12)

Es ist gut verständlich für völlig ahnungslose Laien geschrieben ohne dabei zu oberflächlich zu bleiben oder unsachlich zu werden. Dabei fängt es mit der Definition von Kindesmisshandlung an und unterscheidet dabei auch die unterschiedlichen Formen. Es wird immer wieder zu späteren Kapiteln verwiesen, oder später auch an vorherige Fallbeispiele erinnert. Die Fallbeispiele sind dabei plastisch genug um zumindest bei mir hin und wieder eine gewisse Übelkeit zu erzeugen. Echte Fälle. Echte Kinder. Immer wieder muss ich mir das ins Gedächtnis rufen, weil es so unglaublich klingt was hier berichtet wird.

Die Autoren erklären unterschiedliche Verletzungen und ihre typischen Ursachen. Machen deutlich, dass diese (leicht) erkennbar sind. Wenn nicht unbedingt von Laien, dann aber doch spätestens von Ärzten.

“Das “Züchtigungsrecht für Lehrkräfte an Schulen” wurde erst 1973 abgeschafft. Und ein Recht auf gewaltfreie Erziehung auch in der Familie haben Kinder hierzulande erst seit dem Jahr 2000.” (S. 37)

2000! Das ist gefühlt gerade gestern… Immer wieder musste ich den Kopf schütteln. Das Buch möchte Missstände aufdecken. Fehler im System. Die Gründe warum misshandelte Kinder trotz Betreuung durch das Jugendamt getötet werden können. Und es sind viele…

“Dabei bescheinigen sich das zuständige Jugendamt und der freie Träger auch in diesem Fall nach eingehender Prüfung, dass keinerlei Fehler begangen worden seine. Ein weiterer tadelloser Kinderschutzeinsatz also. Nur das Kind, das so vorbildlich geschützt wurde, ist leider tot.” (S. 99)

Das Buch bekam ich damals über Tialda und ihrer “Blogger gegen Kindesmisshandlung”-Aktion. 

Als ich es gelesen habe, wäre einer meiner Kritikpunkte so wie bei Tialda auch gewesen, dass es zu teuer ist. Um aufzuklären muss etwas (günstig) erhältlich sein. Mittlerweile gibt es eine Taschenbuchversion für 10€ die das dann schon etwas relativiert. Und meine Bibliothek hat zumindest auch schon mal 2 Exemplare.

Das mit den Klischees und der Spanne zwischen Arm/Reich empfand ich nicht als so extrem. Klar “Generation Kevin” lässt einen kurz schlucken und die Namensgebung ist nicht immer sehr glücklich gewählt. Es gibt da eine Diskrepanz, ja. Aber meiner Meinung nach wird das auch durch “gebildetere Täter misshandeln eher psychisch als körperlich” erklärt. Und in in diesem Buch geht es, wie die Einleitung sagt in erster Linie um körperliche Misshandlungen.

Ich könnte noch viel erzählen. Tatsächlich bin ich jetzt erst auf Seite 100 beim noch mal durchblättern. Habe noch etliche Zitate und könnte mich in Rage tippen. Es hat mich wütend gemacht. Und hilflos. Und das tut es jetzt – nur beim drüber schreiben – direkt wieder. Da leiden und sterben Kinder. Viele. Und das System zum Schutz eben dieser funktioniert nicht.

“In den 1990er-Jahren hat eine Studie gezeigt, dass “ca. 70% der Mitarbeiter medizinischer Einrichtungen, 86% der Mitarbeiter sozialpädagogischer Dienste und 98% der Mitarbeiter von Beratungs- und Therapieeinrichtungen eine strafrechtliche Verfolgung der Täter für ein inadäquates Vorgehen” hielten.” (S. 209)

Es wird viel zu oft weggesehen. Von allen.