Rezension

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Der Weg zurück - und das Meer kommt und geht

Die Farbe des Nordwinds -

Die Farbe des Nordwinds
von Klara Jahn

Bewertet mit 4.5 Sternen

Mit einer Strophe aus dem Gedicht "Die Insel" von Rilke beginnt der neue Roman "Die Farbe des Nordwinds" von Klara Jahn. Gegenwart und Vergangenheit erzählen die Geschichten vom Leben auf den Halligen. Orte, von Wind und Wetter, dem Meer und Sturmfluten geprägt.
Gegenwart: Die sechunddreißigjährige Ellen kehrt nach zwanzig Jahren zurück auf die Hallig, wo sie damals für einige Monate mit ihrer Mutter Sunny bei dem Bauern Thijman und seiner Tochter Liske gelebt hatte. Ihr altes Leben hatte sie zurückgelassen und wagte nun einen Neuanfang als Halliglehrerin. Die Hallig war ihr Seelenort, das wusste sie schon von Anbeginn. (Einst hatte sie sich gefragt, welche Farbe der Wind hatte, nun wusste sie, er hatte gar keine Farbe, er stahl sie sich nur, vom Himmel, vom Meer, jetzt von der Nacht. Das Schwarz war so mächtig. - Zitat S. 364) So haben die Geschichten um die Halligen sie immer begleitet. Ellen war sehr belesen, schon damals war Liske beeindruckt, was sie alles über die Tiere und Natur wusste. Nach dem ersten Landunter hielt es die Mutter nicht mehr aus und ging mit Ellen zurück ans Festland. Nach dem damaligen Bruch zwischen Ellen und Liske versucht sie nunmehr die alte Verbundenheit wieder aufzubauen. Das es nicht einfach wird, zeigt Liske immer wieder durch ihre Verletztheit. Sie fühlte sich damals zurückgelassen. (Zitat S. 118 Und ich, sagte sie, ich will frei sein. … Und nur wer frei sein will, ist klug.) Zu gern wäre sie auch in die Ferne gegangen.
Nicht jeder Halligbewohner hat eine ablehnende Haltung Ellen gegenüber. Gut dargestellt ist ihre Arbeit mit den Kindern in der Schule. Ein Problemkind hat es aber, Metha. Sie nimmt nicht am Unterricht teil. So sucht Ellen den Kontakt zum Vater als auch zu Metha. Wie Ellen es schafft, Metha für den Unterricht zu bewegen, ebenso das Vertrauen und Miteinander von Vater und Tochter aufzubauen, ist nur eins von den besonderen Einzelgeschichten innerhalb der Handlung. ("Ich bin die Lehrerin", sagte Ellen in das Schweigen hinein. Als er den Blick auf Ellen richtete, wirkten seine Augen verschmitzt. Ein Kreis feiner Fältchen umgab sie. "Ich weiß. Und ich bin der Sonderling."
Zitat S. 155)

So tauchen auch immer wieder kurz Geschichten von damals, erzählt in Chroniken, auf wie auch in der von Arjen Mortensons. Über diese hatte Ellen eine wissenschaftliche Abhandlung geschrieben.
Damals: Im 19. Jahrhundert geht es in der Geschichte um das Leben der Menschen auf den Halligen. Immer wieder haben sie mit den Naturgewalten zu kämpfen. Sie arbeiten hart und ihr Leben war nicht einfach. Oft herrschte der Hunger in der Küche. Unterstützung gab es keine, im Gegenteil sie mussten noch Abgaben zahlen. Jedes einzelne Schicksal bewegt, man wird manches Mal von einer gewissen Hilflosigkeit erfasst, wie beschwerlich das Leben dort war. Die Autorin hat dies bildhaft sehr gut beschrieben.
Die Vergangenheit ist in der Ich-Perspektive von Arjen geschrieben. So direkt und klar, dass der Leser sich ihm nahe fühlt. Er war schon etwas besonderes und dennoch ...
Der Nebel löste sich weiter auf, aus den Wolkenballen wurden Schlieren. Das strahlende Blau des Himmels schmeichelte Ellens Seele und strafte Lügen, wer Blauf für eine kalte Farbe hielt.
Zitat S. 155
Damals wie heute haben die Menschen auf einer Hallig mit den Naturgewalten zu kämpfen. Landunter, kein Fremdwort. Doch wenn es zu einer Katastrophe kommt wie bei der großen Halligflut 1825, ist es keine heile Welt mehr. Viele der Halligen sind für immer verschwunden. Und auch in der heutigen Zeit kann diese Katastrophe passieren. Wenn der Meeresspiegel mehr und mehr steigt, werden die Halligen irgendwann nur noch Geschichte sein.
Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen, deren Geschichten sich aber nach und nach wie ein Geflecht miteinander verbinden. Besonders zugesagt hat mir die ruhige Erzählweise. Wer das Buch aufmerksam liest, erkennt den wahren Wert, was die Autorin uns vermitteln möchte.