Rezension

Vom Fortgehen und Zurückkehren

Lichtungen
von Iris Wolff

Bewertet mit 5 Sternen

Als Levs deutschstämmige Mutter Sis sich als 18-Jährige in einen rumänischen Witwer mit drei Kindern verliebt, ahnt sie nicht, wie stark diese Begegnung später das Schicksal ihres einzigen Sohnes im sozialistischen Rumänien der 80er des vorigen Jahrhunderts bestimmen würde. Lev wächst im rumänischen Umfeld innerhalb des Vielvölkerstaats auf, in dem Begegnungen mit Fremden mit der Frage nach Heimatort und Nationalität eingeleitet werden. Seine rumänische Großmutter hielt sich aufgrund ihrer Nationalität und der Lage ihres Häuschens am Hang schon immer für etwas Besseres.

Mit seiner Mitschülerin Kato tritt eine Außenseiterin in Levs Leben, die wegen Vernachlässigung durch ihren alleinerziehenden Vater im Dorf ausgegrenzt wird. Als Kato ihn Jahre später mit einer Postkarte auffordert, zu ihr nach Zürich zu reisen, haben Deutschstämmige mit Geduld und „Valuta forte“  längst die Ausreise in die Bundesrepublik oder nach Österreich beantragt. Obwohl seine Mutter und sein Chef Imre ihm zuredeten, das Land zu verlassen, war Lev geblieben. Unbewusst muss er geahnt haben, dass die die gehen, die Gebliebenen in erhebliche Schwierigkeiten bringen können. Der Schlüssel, den er mit Kato austauscht, symbolisiert Dinge, die man zurücklässt, ohne zu wissen, ob man zurückkehren kann. Zürich, wo Kato als Straßenkünstlerin lebt, zeigt sich dem Besucher zunächst abweisend, nicht nur die deutsche Sprache ist Lev fremd.

Ausgehend vom Treffen mit Kato im Westen erzählt Iris Wolff zeitlich und in der Kapitelnummerierung absteigend aus Levs Leben im Ceaușescu-Regime der 80er Jahre. Die Figuren treten zunächst als unbeschriebene Blätter auf; ihre Beziehungen und Motive entfalten sich erst allmählich. An der überschaubaren Anzahl Figuren gemessen, wirkt beim Lesen das Warten auf die Verbindungen teils zu kompliziert. Die umgekehrte Erzählrichtung schärft jedoch die Aufmerksamkeit für Unausgesprochenes. Wer  in einer Mangelwirtschaft alltägliche Dinge nur auf Umwegen „besorgen“ kann, gefährdet sich selbst, Beschaffer und Mitwisser.  Unwissenheit kann in einer Diktatur  daher lebensrettend sein.

Iris Wolff schreibt dicht, poetisch und mit beeindruckender Symbolkraft. Beziehungen, der Wald, Arbeit, Tiere, Erinnerungsstücke, alles hat seinen festen Platz im Turnus von Fortgehen, Verlassen, Bereuen und Zurückkehren.