Rezension

ÜBER DAS NICHT MEHR ALLTÄGLICHE ZUSAMMENLEBEN ZWISCHEN GENERATIONEN: ES LOHNT SICH FÜR BEIDE SEITEN!

The Marmalade Diaries -

The Marmalade Diaries
von Ben Aitken

Bewertet mit 4 Sternen

Ben sucht eine günstige Bleibe im überteuerten London, Winnie isst ungern allein Abendbrot - der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Vielleicht!

Ben Mitte 30, Journalist, sucht kurzfristig eine bezahlbare Unterkunft in London. Und findet sie letztlich in der Einliegerwohnung bei Winnie in einem Arrangement „Wohnen und Helfen“. Winnie ist eine resolute Lady, die schon einiges gesehen und erlebt und der niemand so schnell etwas vormacht, trotz oder gerade wegen ihrer 85 Lebensjahre. Dann kommt der nächste Corona Lockdown, und bringt die neue WG noch näher zusammen, als es sich beide wohl vorgestellt haben.

Dass die Erzählung im Corona-Lockdown angesiedelt ist, finde ich sehr schön, da das Buch damit letztlich auch ein Stück jüngere Zeitgeschichte dokumentiert, mit all ihren Herausforderungen und Besonderheiten, jenseits der Wohnsituation Bens und Winnies.

Ich mochte das Setting und die Dialoge zwischen Ben und Winnie sehr. Ein bisschen ist es wie eine Oma - Enkel Situation. Früher war es noch vollkommen gewöhnlich, dass verschiedene Generationen unter einem Dach lebten und ich glaube es gibt einige Aspekte, die daran durchaus vorteilhaft für alle Beteiligten und auch unsere Gesellschaft als Ganzes waren. Denn letztlich fördert der Austausch mit anderen Generationen Verständnis und wir können gegenseitig voneinander lernen. So wie auch Winnie und Ben voneinander lernen und sich, jeder bzw. jede, nach den individuellen Möglichkeiten einbringt, um aus der ungewöhnlichen Situation eine leider nicht mehr alltägliche Freundschaft zwischen Generationen entstehen zu lassen. Natürlich kommt es dabei auch zu Reibungen, so auch bei Winnie und Ben, und auch dies ist ein Lernen. Für Ben, seinen Ärger herunterzuschlucken und Verständnis für Winnies oft ruppige Art und ihre Probleme aufzubringen, für Winnie auf Ben zuzugehen und einzusehen, dass er ihr nur Gutes will und auch sie sich für ein Funktionieren des Arrangements ein wenig auf ihn einstellen muss. Einige Situationen zwischen den beiden, haben mich sehr an meine eigene Großmutter erinnert, gerade beim Kochen und Backen der Satz „Du kannst doch nicht!“, und das Unvorstellbare, wird von der jüngeren Generation nur mit einem Schulterzucken und fragendem Blick quittiert. Es sind solche alltäglichen Situationen und Dialoge, die beim Lesen immer wieder zum Schmunzeln und Nachdenken einladen.

Die Erzählung ist, wie der Titel bereits andeutet, in Tagebuchform verfasst, mit mal kürzeren mal längeren Tageseinträgen. Immer wieder gibt es eingeschobene Passagen mit Hintergrundinformationen aus Winnies Biografie, in denen wir einen kleinen Eindruck über das Aufwachsen und den Lebensweg einer 1936 geborenen Britin, aus einem Diplomatenhaushalt gewinnen können. 

The Marmalade Diaries ist ein ruhiges Buch, ohne bestimmte Dramaturgie, eher wie ein Blick in den Alltag einer ungewöhnlichen WG in einer ungewöhnlichen Zeit, und doch auf zwei gewöhnliche Menschen mit ihren individuellen Besonderheiten. Genau das macht den Charme der Erzählung aus.

Insgesamt war mir die Darstellung und der Schreibstil jedoch manchmal zu nüchtern und (gewollt) cool, zu dokumentierend als tatsächlich erzählend und deutend. Damit hat das Buch für mich etwas Potential verschenkt. Trotzdem habe ich es gern gelesen.