Rezension

Till Eulenspiegel und Baron von Münchhausen hätten ihren Spass gehabt.

Der Weltreporter
von Hannes Stein

Bewertet mit 5 Sternen

Während einer Lockdown-Phase lernt die Taxifahrerin Julia Bacharach den älteren Reporter Bodo von Unruh in einer Hotelbar kennen. Beide besitzen den Roten Pass, der ihnen Immunität gegenüber einer tödlichen Krankheit, die allerdings nur in Deutschland grassiert, bescheinigt. Das eingeschränkte Gesellschaftsleben und die Geschichten, die der angegraute Herr von seinen Weltreisen zu erzählen hat, bringen die beiden zusammen. Sie werden so etwas wie ein Paar, wenn da nicht die vielen Abwesenheiten Bodos wären, die ihn auf irrwitzige Wege in die ungalublichsten Winkel der Erde ziehen und von denen er Erstaunliches für "Holzmann´s Weltspiegel" zu berichten weiß.

An zwölf Reportagen lässt uns Hannes Stein teilhaben, unterbrochen nur von der durchgewebten Rahmenhandlung, in der Julia langsam misstrauisch wird und an Bodos Ehrlichkeit zweifelt. Lernt sie doch nie Bodos Begleiter, den Fotografen, kennen. Doch das Presseleben scheint ein unstetes und spontanes zu sein, da hagelt es gebrochene Versprechungen und abgesagte Verabredungen. Die illustrierten Zeitungsberichte lassen den Frust vergessen, stillen aber nicht Julias Neugier.

Bodo hingegen verschlägt es wie gesagt an die seltsamsten Orte. Im brasilianischen Regenwald hat sich ein zweites München nach räterepublikanischen Vorbild etabliert. In Sibirien gibt es eine vergessene Stadt mit glücklichen Einwohnern, ein algorythmusgesteuertes Kybernetikprogramm sorgt für alle erdenklichen Annehmlichkeiten. Die Schweizer Eidgenossen hat es nach Afghanistan verschlagen und das aus einem sehr plausiblen Grund. Schwarze lesbische Jüdinnen und telephatische Orgasmen sind da nur die dunklen Pünktchen, die eine echte Vanillesauce auszeichnen. Der Geschmack ist überwältigend, wie die Speisen im Restaurant am Ende der Welt, für das man keine Reservierung erhält.

Die Texte sind so haarscharf an der Realität vorbei, dass man bald alle Vorsicht fahren lässt und ohne Bedenken glaubt. Schließlich hat man als lebenserfahrener Middleager ja schon von so manchem Spuk gehört und die Kulisse von maskentragenden Protagonisten steckt uns allen noch in den Knochen. Der Autor versichert allerdings, dass dieses ängstigende Detail noch vor Corona Einstieg in den Plot fand. Darf ich Herrn Stein dann eine gewisse Hellsichtigkeit unterstellen? Zumindest hoffe ich mit der letzten, sehr philosophischen Reise "Dein Freund Harvey" darauf.

Aber bis dahin halte ich es mit Eulenspiegel und Münchhausen... ich erfreue mich am genialen Schelmenspiel.