Rezension

Futuristisch

Der Weltreporter
von Hannes Stein

Bewertet mit 5 Sternen

Eigentlich wollte sich Julia Bacharach gerade gar nicht verlieben. Nicht in einer fast leeren Hotelbar in diesen Umständen und erst recht nicht in einen Typen wie Bodo von Unruh. Aber sie ist unvoreingenommen und neugierig und er reist für ein Magazin um die ganze Welt und recherchiert Geschichten, die bewusstseinserweiternder wirken als die besten Drogen - z.B. zu einem sagenumwobenen, mit völlig neuartigen Geschmackssensationen aufwartenden Restaurant, in das man nur auf Einladung kommt - und nachdem man vertraglich versichert hat, blind den Anweisungen des Personals zu folgen, egal was passiert. Über eine jahrzehntelang vergessen Stadt in Sibirien, die rein kybernetisch gesteuert wird, und in der ausschließlich die für das Gemeinwohl besten Entscheidungen getroffen werden. Über Nachfahren der Münchner Räterepublik, die ihre anarchistischen Ideale im brasilianischen Dschungel leben. Mit der Zeit bemerkt Julia, dass mit Bodo irgendetwas nicht stimmt. Durch seine grandiosen Geschichten gelingt es ihm aber immer wieder, sie in seinen Bann zu ziehen.

Den Roman »Der Weltreporter« von Hannes Stein durfte ich mir auf Anfrage bei NetGalley als eBook herunterladen. Die 352-seitige, digitale Ausgabe mit der EAN 978-3-462-30265-3 kostet 18,99 € und erschien am 11. Februar 2021 bei Galiani Berlin im KiWi-Verlag.

*Meinung*
Für die wunderschöne Covergestaltung, die an den Roman "In 80 Tagen um die Welt" erinnert, sind Manja Hellpap und Lisa Neuhalfen aus Berlin verantwortlich. Titel und Klappentext hatten mich sofort angesprochen. Und gleich das Vorwort hat mich begeistert. Der Schreibstil ist temporeich, gewitzt und jeder Satz auf seine Weise informativ. Man merkt schnell, dass Kommunikation das Handwerk des Autors ist. Die Charaktere sind brillant in Szene gesetzt. Als Leser bewegt man sich zwischen Traum und Wirklichkeit. Irgendwie erinnert mich die Geschichte an den  Klassiker "Per Anhalter durch die Galaxis" von Douglas Adams aus dem Jahr 1980. Der Autor selbst ist Jahrgang 1965 und gehört also einer Generation an, die das Thema Technik, Fortschritt und Natur gewissenhaft miteinander verbinden müssen. Ich persönlich habe den Eindruck, dass Hannes Stein diese fundamentalen Themen für sich aufarbeitet: Sollen wir uns von der Technik, dem Fortschritt und der Digitalisierung abhängig machen, oder sollen wir sie nur zu unserem Vorteil nutzen? Ich bin kein Anhänger der fantastischen Literatur, aber dieser Roman überzeugt, wenn auch nicht in allen Details, aber das ist Geschmacksache. »Der Weltreporter« ist ein Roman in zwölf Reisen über die Kraft des Erzählens, Fakt und Fiktion, über echte Schlaraffenländer und falsche Paradiese, über die Liebe und über den Tod, der uns am Ende alle erwartet.

*Fazit*
Komisch, auf erschreckende Weise prophetisch und zugleich schneidend realistisch, ein Feuerwerk der Fantasie.

*Porträt*
Hannes Stein, geboren 1965 in München, aufgewachsen in Salzburg, lebt jetzt als Korrespondent für die Welt in New York. Er schrieb für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und den Spiegel. Im Sommer 2007 ist er nach Amerika ausgewandert. Bei Galiani Berlin erschienen von ihm die Romane Der Komet (2013) und Nach uns die Pinguine (2017). Hannes Stein bloggt bei den Salonkolumnisten und ist Mitglied des amerikanischen PEN-Clubs.

© 02/2021 Inflorenzarin