Rezension

Öl und Macht. Exzentrik und Perversität.

Otmars Söhne
von Peter Buwalda

Bewertet mit 5 Sternen

Geht unter die Haut. Regt auf. Heiße Story. Zugegeben, man muss durchhalten. Die Story ist kompliziert.

Der Roman „Otmars Söhne“, hier Band 1 von voraussichtlich dreien, ist zwar ein Roman entlang einer Familie, aber den normalen Familienroman, den wir als Leser so gewöhnt sind, und bei dessen Lektüre wir wohlig in unseren Lesesessel geschmiegt, genießen, den werden wir von Peter Buwalda nicht bekommen. Buwalda sei Dank! Denn Peter Buwalda schreibt, wieder einmal, über Exzentriker. Buwaldas Romane sind (herrlich) unbequem. Ich meine, er könnte der niederländische Houellebeq sein.

Von zwei Handlungsebenen her lässt der Autor seine Protagonisten auf der sibirischen Insel Sachalin aufeinandertreffen. Durch einen Schneesturm in einem Hotelchen gestrandet und festgehalten, stoßen zu ihrer Überraschung zwei alte Bekannte aufeinander. Es sind die beiden Niederländer, die Investigativjournalistin Isabel Orthel und Ludwig Smit. Wegen Überfüllung müssen sie sich sogar ein Zimmerchen, ein Bettchen teilen. Ihre Beziehung enthält von früher her einige unappetitliche Pikanterien, obwohl sie nur kurz zusammenwohnten und niemals ein Paar waren.

Beide inzwischen mehr oder weniger erfolgreich in ihrem Beruf, haben auf Sachalin dasselbe Ziel. Sie wollen Gespräche mit dem maßgeblichen Mann im Ölgeschäft auf Sachalin führen. Isabel will Johan Tromp fertigmachen, weil er vor Jahren in Nigeria eine große Schuld auf sich geladen hat. Schon damals war sie hinter ihm her und setzte nicht gerade zimperliche Mittel ein, um an den großen Mann heranzukommen. Wie man sich denken kann, zeichnet sich Johan Tromp nicht als der Sympath aus. Er ist ein knallharter Geschäftsmann, durch und durch skrupellos und noch dazu ziemlich pervers veranlagt.

Ludwig Smit soll Johann Tromp im Auftrag seiner Firma eine technische Methode empfehlen, wodurch man unterhalb der Erdölfelder künstliche Erdbeben herbeiführt, um die Ergiebigkeit der Lager festzustellen. Diese Methode, „seismic survey“ genannt, im sibirischen Ochotskischen Meer angewandt, würde dazu führen, dass die Kinderstube der dort ansässigen Grauwale gestört, die Grauwale vielleicht sogar ganz und gar ausgerottet werden. Ludwig ist das egal. Er hat jede Menge gefälschte Gutachten in der Tasche.

Die erste, jedoch enttäuschend verlaufende geschäftliche Unterredung mit Tromp hat Ludwig Smit bereits hinter sich, während Isabell ihr Treffen mit Tromp noch vor sich hat. Pikant wiederum beim Intermezzo Ludwigs und Isabels, beide haben Geheimnisse voreinander und wissen Dinge übereinander ... und jeder versucht, den anderen für seine Zwecke zu verheizen.

Mit dem brisanten Gespräch zwischen Isabel Orthel und Johan Tromp endet das Buch.

Der Kommentar:

600 Seiten lang ein Gespräch vorbereiten, zugegeben, ein Gespräch, das Sprengstoff enthält … das muss doch langweilig sein.

Ganz und gar nicht. Denn Buwalda hat seine Protagonisten mit jeder Menge Exzentrik ausgestattet.

Isabel und auch Ludwig haben ungewöhnliche Familien im Rücken. Da ist der Stiefbruder Ludwigs, der ihm den Vornamen gestohlen hat, Dolf Appelquist, ein Ausnahme-Musiker, der sich lange Zeit einbildete, Beethoven zu sein. Da ist Ludwigs Stiefschwester Tosca, eine versierte Konzertmeisterin, die schwer einzuschätzen ist. Da ist auch Isabels Verwandtschaft. Patriarchat. Reichtum und Heuchelei. Und fast alle haben sexuelle Obsessionen. Die möglichst nicht ans Licht kommen sollen!

Einige Leserinnen haben sich an der Darstellung sexueller Praktiken gestört. Sie meinen, Buwalda präsentiere ein frauendiskriminierendes, gewalttätiges Bild von Sexualität. Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Ob man aus dem Roman heraus über den Autoren urteilen kann. Buwalda schreibt über machtbesessene, perverse Männer. Über Männer, die gerne dominieren. Es ist nicht davon auszugehen, dass seine Protagonisten Blümchensex haben. Rassistisch ist der Text auch nicht. Keine Spur.

Die Story, die Buwalda schreibt, ist jedoch so heiß wie Öl. Obwohl sie eigentlich langsam erzählt wird. Sechshundert Seiten! Aber sie hat Zug nach vorne und es stimmt jedes Detail. Als am Ende sich alles zusammenfügt, finde ich

Fazit: Dieser Roman ist intelligent, aufdeckend, intellektuell, heiß, und das Beste, was ich bisher in diesem Jahr gelesen habe.

Kategorie: Belletristik
Verlag: Rowohlt, 2021 (erscheint im Mai).