Rezension

Militär, Macht und Morde

Der eiserne Sommer - Angelika Felenda

Der eiserne Sommer
von Angelika Felenda

Bewertet mit 4 Sternen

1914. Zur selben Zeit, als in Sarajevo die tödlichen Schüsse auf den Thronfolger Österreich-Ungarns fallen, kommt es in München zu einer Mordserie. Sebastian Reitmeyer ist der zuständige Kommissär, der die Morde bearbeiten muss, und sein Leben ist bestenfalls frustrierend. Sein Chef verlangt von ihm, dass er Statistiken fälscht, um aufzuzeigen, dass die Kriminalität am Steigen ist, der Polizeipräsident setzt ihn allein auf den Fall an, wobei er nach außen hin so tun muss, als wüsste er von nichts. Denn die Spuren führen ins Leibregiment des Königs, und Polizisten haben beim Militär nichts zu sagen. Sie dürfen bei ihnen nicht ermitteln, sie dürfen niemandem beim Militär auf die Füße treten, ja, sie dürfen nicht einmal atmen, wenn es nach den Herren Offizieren geht. Genauso schlimm ist es, wenn es um höhere Beamte geht oder andere Stützen der Gesellschaft - entweder stehen sie von vornherein außerhalb jeden Verdachts oder Beweise werden aus der Welt geschafft, Verbrechen vertuscht, möglicherweise ein Bauernopfer erbracht, um alles unter den Teppich zu kehren. Es macht es für Reitmeyer nicht einfacher, dass er mit großbürgerlichen Freunden aufgewachsen ist, mit denen er musiziert hat (und in die Schwester eines dieser Freunde er seit Jahr und Tag verliebt ist) und ein anderer seiner Freunde nicht nur Rechtsanwalt, sondern auch linksorientiert ist. Die Welt steht vor einem Krieg und er sitzt zwischen allen Stühlen.

Die Autorin schafft es, die katzbuckelnde und intrigante Zeit kurz vorm 1. WK wieder auferstehen zu lassen. Da wird in die Verschwörung des Militärs eingeführt, in die grölende, nationalistische und adlige Welt der Offiziere, die auf alle anderen herabsehen - selbst auf ihresgleichen, die eben nicht adlig sind. Man bekommt Einblick in die Häuser der Großbürger und Ministerialbeamten, wird in die Unterschicht und deren heruntergekommenen, stinkenden Wohnungen herumgeführt. Alles dreht sich im Kreis, alle hängen an den Fäden einiger weniger Kriegstreiber, welche die Puppen tanzen lassen und bereit sind, dafür mehr und mehr Menschen zu opfern. Der Kommissär hat in dieser Zeit und Welt keine Chance auf eine ordentliche Ermittlung, geschweige denn auf Recht oder Gesetz.
Von daher ist der historische Aspekt wirklich gelungen. Die Zerrissenheit, der sich die einfachen Menschen ausgesetzt waren, gut herübergebracht.

Leider hatte ich ein wenig Probleme mit dem Hauptprotagonisten selbst. Ich bekam ihn selbst nie wirklich zu fassen, bei all dem, was er tat oder dachte, blieb er mir fremd. Ich habe darüber nachgedacht, woran das liegen mochte und komme zu dem Schluss, dass er mir zu ambivalent beschrieben wurde. Bevor irgendwo erwähnt wurde, dass er Anfang 30 ist, hielt ich ihn für einen relativ alten, verknöcherten, strengen Beamten, auch wenn er teilweise sehr ehrenvoll war. Dann wiederum machte er auf mich den Eindruck eines weitaus jüngeren Mannes, gerade wenn es um seine Liebesverwicklungen ging, bei denen er sich wie ein Pennäler anstellte. So war er mir immer zu blass, konnte nicht aus dem Schatten seiner besser agierenden und authentischer herüberkommenden Nebenprotagonisten lösen.

Fazit: Interessantes Setting von vor 100 Jahren, komplex und intrigant, und mit einer Hauptperson, die noch ein bisschen mehr "Fleisch" auf den literischen Rippen vertragen könnte.