Rezension

Man nehme und mische und bediene den Zeitgeist.

Kreiseziehen -

Kreiseziehen
von Maggie Shipstead

Bewertet mit 3 Sternen

Es kommt darauf an, was man erwartet. Ich habe E-Literatur erwartet und U-Literatur bekommen.

Inhalt: Aufgrund eines frühen prägenden Erlebnisses lebt die junge Marian Graves nur für eines, sie will fliegen lernen. Ihr Geburtsjahr (1914) lädt jedoch nicht dazu ein, dass sie als Mädchen mehr lernen und erleben sollte als die obligatorischen drei K, Küche, Kirche, Kinder. Doch Marian lebt allein mit ihrem Zwillingsbruder James und einem Alkoholikeronkel Wallace irgendwo in den Weiten von Montana eine wilde und freie Jugend, die sie innerlich unabhängig machte. Einige Zufälle und viel Willenskraft und Opferwillen bringen sie erst zum Fliegen, nach weiteren tausend Zufällen, glücklichen und unglücklichen Fügungen in ihrem Leben kommt es schließlich zum Abenteuer ihres Lebens: der Weltumrundung in Längsrichtung. Wie so viele Piloten vor ihr und nach ihr, gilt sie seit ihrem Lebensprojekt als verschollen. 

Der Kommetar: 
Aber das ist erst viel, viel später, 1950 um exakt zu sein, nach dem Zweiten Weltkrieg. Und viele hundert Seiten später ... . Bis dahin erlebt Marian in wenigen Jahren, wofür zwei oder drei Leben nicht ausreichen würden. Und mit ihr, die, die ihr die Liebsten sind.

Es gibt aber auch Schmuddelsex und tausenderlei Anleihen und Ideen aus anderen Romanen, von denen man weiß, dass sie meistens funktionieren: Waisen. Schiffsuntergang. Allein im Wald. Allein in der Stadt. Alkoholsucht. Männer, die allein nicht klar kommen, Männer, die ihre Machtpositionen gnadenlos ausnützen, Krieg und Tod, Verlust, Leid, Identätssuche, diverse obskure Verwicklungen, Verkleidungen, unbekannte Väter, Kunst und verkannte Künstler, Familiengeheimnisse, etc. etc. Dieses Konglomerat von allem, findet bei mir keinen Anklang: zu viel von allem! 

Auch im zweiten Handlungsstrang, der in der Moderne spielt mit der Handlungsträgerin Hadley Baxter, die als Schauspielerin einen Film über die verschollene Marian Graves drehen soll, spielen abgedroschene Elemente der Romankunst die Hauptrolle: das verwöhnte und glamouröse junge Filmsternchen, das ein Filmstar werden will, aber zu viel trinkt und ein promiskuitives Leben führt. Natürlich muss das Diskriminierungsthema, das uns ja stets beschäftigt, auch mit verwurstet werden, und Geheimnisse! Ohne Geheimnisse,  kein echter Schmöker. 

Man kann nicht sagen, dass die Autorin ihre Fäden nicht geschickt verknüpfen würde, denn das tut sie ohne jeden Zweifel oder Abstrich, kein Faden bleibt lose in der Luft hängen und ihre Sprache hat durchaus Ausreißer nach oben. Aber. Aber. Aber. „Kreiseziehen“ ist ein Abenteuerroman, nicht mehr und nicht weniger. Nur aufgrund des Zeitgeistes, nur weil er sich dem Thema, Frauen als Pionierinnen der Luftfahrt widmet, nur deshalb ist er auf der Shortlist des Man Booker Prize 2021 gelandet und befindet sich zur Zeit sogar auf der Shortlist des Women’s Prize for Fiction 2022, wo er eher hingehört.

Denn mehr als einen Abenteuerroman habe ich nicht gelesen. 

Und noch dazu einen, wo ich mich öfters fragte "das (Element) kenne ich doch irgendwoher", Steinbeck hat eine sich entfremdete Frau entworfen, Twain das wilde, freie, sich selbst überlassene Kind, aus der Serie "Ausgerechnet Alasca" wurde eine Sentenz übernommen ... etc, etc.

Das Anliegen verstehe ich wohl: da die weiblichen Dichter, Künstler, Pioniere in der Geschichte oft nicht mehr als eine Randnotiz sind, warum nicht einfach eine fiktive Fliegerin erschaffen, die es allen mal so richtig zeigt. Aber da es Marian Graves nicht gegeben hat, wird niemandem irgendetwas gezeigt. 

Unterm Strich ist die Zusammenmischung von bekannten Romanelementen, von denen man weiß, dass sie „ziehen“, dermaßen offensichtlich, dass mir der Lesespaß schnell vergangen ist. 

Fazit: „Kreiseziehen“ ist ein Spiel mit „was wäre gewesen, wenn“, bzw. „es hätte gut sein können“. Insofern ist der Roman durchaus reizvoll; wenngleich da und dort durchschaubar seicht - ein Urlaubsschmöker mit vielen Wendungen und Kreisen, dem Titel entsprechend. Doch mit anspruchsvoller Literatur, mit etwas, was Literturpreise rechtfertigen würde, hat der Roman nicht viel zu tun. Die Unterhaltung hat ihre Berechtigung und Unterhaltung darf auch etwas anspruchsvollere Elemente enthalten sowohl thematisch wie inhaltlich wie weibliche Flugpioniere, aber die Unterhaltung hat auch ihren Platz auf der Leiter, nämlich etwas weiter unten. 

Kategorie: Belletristik: 2 Punkte, Unterhaltung: 4 Punkte
Verlag: dtv, 2022

Kommentare

Emswashed kommentierte am 10. Juni 2022 um 14:53

Schade! Der Plot klang doch erst mal ganz gut.

wandagreen kommentierte am 10. Juni 2022 um 17:22

Ich las unter der Prämisse "Bepreistes Buch" - und gehörte zu den wenigen, die dem Roman nur Unterhaltungswert bescheinigten.