Rezension

Keine Kuschel-Trolle, sondern düstere Mythen

Kjell. Das Geheimnis der schwarzen Seerosen (Die Seerosen-Saga, Band 1) - Evelyn Boyd

Kjell. Das Geheimnis der schwarzen Seerosen (Die Seerosen-Saga, Band 1)
von Evelyn Boyd

Pro:
Das Cover hat etwas Geheimnisvolles, Düsteres, und gleichzeitig strahlt es eine gewisse Romantik aus - ein guter Einstieg in dieses Buch, denn auch die Geschichte ist geheimnisvoll, düster und romantisch und bedient sich dabei gewisser Mythen, die in der Urban Fantasy noch nicht tausendfach verwendet wurden. Dafür gibt es schon einmal Pluspunkte für Originalität!

Die Protagonistin, Sofie, war mir sehr sympathisch. Sie scheint ein intelligentes, tapferes und trotz aller Schicksalsschläge positives Mädchen zu sein. Viele, die dasselbe erlebt hätten - das tragische Ertrinken ihres Bruders, der Unfalltod ihrer Eltern - würden sich wahrscheinlich irgendwo verkriechen und aufgeben, aber sie packt ihr Leben entschlossen an und fährt zurück an den Ort, der sowohl ihre schönsten als auch ihre schrecklichsten Erinnerungen birgt, um zu entscheiden, was sie jetzt tun soll. Das erfordert Mut. Das Einzige, was mich an ihr manchmal verwundert hat, war ihre mir völlig unverständliche Sorglosigkeit: ihr Bruder ist ertrunken, sie selbst ertrinkt fast, geht aber ohne viele Bedenken wieder schwimmen. Sie wird eindringlich vor dem Wald gewarnt, stapft aber dennoch fröhlich auf Elchsuche hindurch...

Spannend war für mich die Frage, ob es Sofie in Schweden gelingen würde, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen, und dann natürlich ab der ersten Begegenung mit Kjell, was es mit diesem geheimnisvollen Jungen auf sich hat. Ist er Freund oder Feind? Nebenher gibt es noch eine Bande von Einbrechern, die ein wenig für Spannung sorgen. Richtige Hochspannung kam dabei nicht auf, aber das Buch ist ja auch kein Thriller! Es blieb durchweg interessant, und das Tempo fand ich genau richtig, um das Buch in einem Rutsch durchzulesen.

Den Schreibstil fand ich einfach, aber angenehm, und besonders die Landschaftsbeschreibungen sind nett gelungen. Die Autorin erweckt hier ein Schweden zum Leben, hinter dessen idyllischer Fassade alte Mythen lauern, die ihre Macht noch nicht verloren haben.

Kontra:
Die Erzählperspektive ist gelegentlich etwas schwammig. Die Geschichte wird aus Sofies Sicht erzählt, und dann sagt sie z.B. sowas wie: "Was ich nicht mehr sah, als ich mich vom Fenster abwandte, war die dunkle Gestalt..." Wenn sie die dunkle Gestalt nicht gesehen hat, wie kann sie uns dann davon erzählen?

Leider konnte ich nicht wirklich nachvollziehen, warum sich Sofie in Kjell verliebt - er benimmt sich ihr gegenüber oft rüde, fordernd und sogar aggressiv (was seinen Grund hat, aber das weiß sie erst nicht), sie kennt ihn auch erst seit wenigen Tagen, und dann braucht es nur einen Kuss, damit sie sogar schon von Liebe spricht. Außerdem konnte ich nicht verstehen, dass es kaum etwas an ihren Gefühlen zu ändern scheint, als sie erfährt, wer und was er ist und was er in der Vergangenheit getan hat. Hier muss ich leider vage bleiben, sonst verrate ich schon zuviel von der Handlung. Kjell blieb für mich auch merkwürdig blass; ich hatte nie das Gefühl, ihn wirklich kennenzulernen oder auch nur halbwegs zu verstehen. Er kam mir vor wie ein skrupelloser Egoist, und seine Gefühle für Sofie haben daran wenig geändert, weil diese nicht einmal ansatzweise dazu führen, dass Kjell sich wirklich ändert oder auch nur seine Lebensweise hinterfragt.

Das Buch konzentriert sich sehr auf Sofie und Kjell, so dass die Nebencharaktere sehr in den Hintergrund rücken, wie z.B. der alte Rune, der Sofie fast schon als seine Enkelin betrachtet, Kjells eisiger Cousin oder die flippige Lilja, die vorübergehend die Rolle von Sofies bester Freundin übernimmt. Von diesen dreien hätte ich gerne mehr gelesen!

Weil ich meine Probleme damit hatte, Sofies Gefühle für Kjell nachzuvollziehen, kam für mich auch keine richtige Romantik auf. Die (sehr kurzen) Szenen, die über Küsse und Händchenhalten hinausgehen, wirkten auf mich überdies seltsam mechanisch und steril.

Das Ende hat mich sehr enttäuscht, weil vieles unbeantwortet bleibt und ich mich gefragt habe: Was hat die ganze Geschichte jetzt eigentlich bewirkt?

Zusammenfassung:
Das Buch lässt sich gut lesen und die Hauptfigur ist sympathisch und lädt zum Mitfühlen und Mitfiebern ein. Wer allerdings eine Geschichte mit viel Liebe und Romantik sucht, wird hier vielleicht enttäuscht werden.