Rezension

Jack Burdette...

Ein Sohn der Stadt -

Ein Sohn der Stadt
von Kent Haruf

Bewertet mit 4 Sternen

Nicht ganz so atmosphärisch und lebensbejahend wie die zuvor ins Deutsche übersetzten Bände von Kent Haruf. Dennoch ganz sicher lesenswert!

Acht Jahre sind vergangen, seit Jack Burdette – einstiger Liebling der Kleinstadt und bewunderter Footballstar – über Nacht verschwand und damit um Geld betrogene wütende Farmer und seine schwangere Frau samt Kindern zurückließ. Und dann ist er plötzlich wieder da, in einem roten Cadillac mitten auf der Main Street, und legt damit nicht nur den Finger in alte, nicht verheilte Wunden, sondern setzt Geschehnisse in Gang, die jeden Bewohner Holts treffen. (Klappentext)

Es gibt Typen, die aufgrund bestimmter Talente und Fähigkeiten von allen bewundert werden und denen man deshalb andere, miese Eigenschaften eher nachsieht als gewöhnlichen Menschen. Solch ein Mensch ist Jack Burdette, der seit seiner Geburt in der kleinen Stadt Holt in Colorado lebt. Aufgrund seiner ungezügelten Brutalität ist er der uneingeschränkte Star der Footballmannschaft in der Highschool, und jeder sonnt sich in seinem Dunstkreis, wenn man sich zum gemeinsamen Biertrinken und Abhängen trifft.

Obwohl Jack sich einen Dreck schert um die Befindlichkeit anderer Menschen und schon in früher Jugend offensichtlich wird, dass Regeln und Grenzen nur dazu da sind um übertreten zu werden,  reichen seine Erscheinung und sein Erfolg beim Football aus, dass alle großzügig darüber hinwegsehen. So verwundert es auch nur kurz, dass ihm schließlich ein verantwortungsvoller Posten als Manager angeboten wird. Denn wer ein Kämpfer ist, der wird das Boot schon schaukeln...

"Der Sohn der Stadt" ist der bislang früheste übersetzte Roman, der zweite, den Kent Harufs geschrieben hat (der erste ist noch nicht auf Deutsch erschienen). Er unterscheidet sich von den späteren Romanen dadurch, dass hier der Fokus auf einem einzelnen Charakter liegt, während die Perspektive in den anderen Büchern zwischen verschiedenen Personen wechselt. Auch gibt es hier deutlich mehr Dialoge als in den anderen Büchern, und das Lebensbejahende der anderen Romane kommt für mein Empfinden hier auch zu kurz.

Der Autor weist jedoch auch in seinem frühen Werk schon sein Können auf, einen beim Lesen in den Bann zu ziehen. Ruhig, melancholisch, unaufgeregt, aber prägnant. Und - erstaunlich genug - Haruf schafft es wieder, auch den miesesten Typen wertneutral darzustellen, so dass man auch beim Lesen nicht sofort zu urteilen beginnt, sondern abwartet, was womöglich noch zutage kommt...

Auch in seinen anderen Romanen nimmt sich Kent Haruf schwieriger Themen an und täuscht keineswegs eine heile Welt vor. Hier jedoch zeigt er den untergründigen Kampf zwischen "Gut" und "Böse", verkörpert durch die Charaktere des Ich-Erzählers Pat und eben jenem Jack Burdette. Die Bewohner Holts schwanken zwischen in ihrem Verhalten zwischen naiv und archaisch, und mehr als einmal stellte sich mir die Frage, weshalb bestimmte Personen überhaupt noch in Holt wohnen bleiben.

Das Ende dann hat mich etwas ratlos und auch enttäuscht zurückgelassen. Bei einem Roman von Kent Haruf erwarte ich nicht unbedingt ein "Happy End", aber hier wurde ich mit einem offenen Ende ohne jeden Ausblick im Regen stehen gelassen. Auch in seinen anderen Romanen müssen Menschen mit Unglücken, Ungerechtigkeiten, Schicksalsschlägen kämpfen, aber es gibt dann doch meist eine versöhnliche Note, einen kleinen Lichtblick. Das fehlt mir hier leider.

Da mich die anderen Romane Harufs vollkommen begeistern konnten, bleibt es nicht aus, dass ich hier Vergleiche ziehe. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich auch "Ein Sohn der Stadt" wieder gerne gelesen habe und erneut wohlwollend eingetaucht bin in die Geschehnisse im kleinen Holt.

Nun bleibt zu hoffen, dass auch Kent Harufs erster Roman noch ins Deutsche übersetzt werden wird...

 

© Parden