Rezension

Erfunden, historisch, toll!

Der Halbbart - Charles Lewinsky

Der Halbbart
von Charles Lewinsky

Charles Lewinsky verarbeitet in seinem Roman vor dem historischen Hintergrund des Marchstreits zwischen dem Kloster Einsiedeln und den Bewohnern von Schwyz eine packende Coming-of-age-Geschichte um den 12jährigen Jungen Sebi. Als Mentor bekommt er den klugen Zugewanderten "Halbbart" an die Seite gestellt und entdeckt im Laufe von wenigen Jahren, wie Geschichten funktionieren und vor allem, wie der Mensch "funktioniert".

Lewinsky hat mit diesem Roman wirklich ein kleveres, literarisches Werk geschaffen. Durch den einfachen Wortschatz und die Formulierungen aus der Perspektive von Sebi erzählt, werden der Leserin unglaublich viele Erkenntnisse zum Wesen des Menschen - im Guten wie im Bösen (und das im überwiegenden Teil) - vermittelt. Häufig muss man dabei wegen der einfachen Logik schmunzeln, die Sachverhalte so knackig zusammenfasst. Viele Weisheiten werden Sebi durch den Halbbart vermittelt, welcher ebenso wie die Familie von Sebi der Leserin schnell ans Herz wachsen. Der Halbbart nutzt zur Starthilfe für andere gern den sokratischen Dialog und hinterfragt Zusammenhänge. Immer mehr versteht man dadurch nicht nur die mittelalrterliche Welt, sondern auch das Hier und Heute. Denn der Mensch hat sich in den letzten Jahrhunderten nur sehr wenig verändert.

Die Spannung über die fast 700 Seiten hält der Autor gekonnt. Hier bedient er sich einem schönen Kniff aus früheren Jahrhunderten: Die Kapitelüberschriften enthalten stets einen Hinweis auf den Inhalt des folgenden Kapitels. Mitunter werden schon Plotverläufen im Vorhinein verraten. Dies steigert jedoch nur noch den Wunsch weiterzulesen. Überhaupt lassen sich die 700 Seiten wirklich schön süffig runterlesen. Selbst die schweizerischen und auch mitunter altmodischen Begrifflichkeiten stören dabei nicht. Es wird vielmehr das Gefühl vermittelt, in die Zeit und den Ort gut eintauchen zu können.

Der Plot hat über weite Strecken den Schalk im Nacken und es macht Spaß die Geschichten und Erlebnisse von Sebi zu verfolgen. Zum Ende hin überwiegt der ernste Anteil in der Geschichte. Da ging es mir dann sogar alles ein bisschen zu schnell und Figuren, die man anders eingeschätzt hätte, tun nicht immer nachvollziehbare Dinge. Meine eigene Unzufriedenheit mit dem Ende des Buches, soll der Bewertung jedoch keinen Abbruch tun. Es handelt sich hier um einen wirklich großartigen, lesenswerten und gelungenen Roman mit verdienter Nominierung für den Deutschen Buchpreis. Ich drücke die Daumen für den Gewinn des Buchpreises 2020!