Rezension

Schöner Erzählstil - aber für mich zu grausam und zu lang

Der Halbbart - Charles Lewinsky

Der Halbbart
von Charles Lewinsky

Schwyz - Einsiedeln - Mittelalter - Marchenstreit - Hartes Leben auf dem Land - Macht der Kirche - Kriege - Misshandlungen - Außenseiter - Geschichtenerzähler

Der Junge Sebi ist etwas 11 Jahre alt und wohnt in einem kleinen Dorf in der Talschaft Schwyz. Es ist das frühe 14. Jahrhundert. Das Leben ist hart, anerkannt ist, wer stark ist und sich durchsetzen kann. Sebi ist dafür kaum geeignet. Er ist ein sogenannter "Finnögel", ein zartes Kerlchen - weder fürs Kämpfen noch für die Feldarbeit zu gebrauchen. Er ist zwar sehr intelligent - genauso wie sein älterer Bruder Geni - aber das zählt in diesen Zeiten wenig. Schule gibt es nicht. Und Lesen und Schreiben können nur einige Mönche im Kloster Einsiedeln. Dort will er vielleicht mal hin - denn was soll er sonst machen? Doch dann kommt ein Fremder ins Dorf. Er hat ein verunstaltetes Gesicht und nur einen halben Bart - daher der Titel "Der Halbbart". Der Fremde macht sich bald als Ratgeber und Helfer bei medizinischen Dingen einen Namen. Und er wird für Sebi zu einer Art Vater-Ersatz. Denn sein eigener Vater ist früh gestorben und auch die Mutter wird bald das Zeitliche segnen. Sebi wird also durch viele Wechselfälle des Lebens gehen - und das alles, bis er ungefähr 14 ist. Diese Zeit erzählt das Buch bzw. Sebi erzählt. Seine Erzählweise ist lakonisch, auch humorvoll und voller Weisheiten. Manchmal schon fast zu viel Weisheiten für so einen jungen Kerl - aber Kindheit in dem Sinne gab es damals nicht. Kinder mussten helfen und arbeiten und ganz früh erwachsen werden.

Es war der Erzählton, der mich die ersten 300 Seiten durch das Buch getragen hat und mich berührt und begeistert hat. Doch danach wurden die Geschehnisse immer grausamer (abgetrennte Beine, Vergewaltigung, tote Babys im Kloster die im Schweinetrog entsorgt werden sollten usw.). Und ich hatte immer weniger Lust, weiter zu lesen. Immer wieder verschwanden lieb gewordene Personen. Und nicht so sehr viele Lichtstreife am Horizont. Sicherlich sind die Beschreibungen realistisch - das Mittelalter war eine grausame Zeit - aber irgendwann mochte ich es nicht mehr lesen. Der Zauber der Erzählkunst wirkte nicht mehr. Besonders betroffen haben mich die Machenschaften und die Scheinheiligkeit der Mönche und Äbte. Und die Bravheit der Dörfler, die mit Drohungen von Fegefeuer und Hölle in Schach gehalten wurden. Das war ja noch bis Anfang des letzten Jahrhunderts sehr verbreitet - auch in Deutschland. Ich erinnere mich noch an die Geschichten meiner Oma....

Nein, das Lesen ist mir dann schwergefallen. Wobei ich sagen muss, dass ich dem Autor großes Können, gute Recherchen und vor allem eine tolle Sprache attestieren muss. Menschen, die sich fürs Mittelalter interessieren, finden mit diesem Buch die ideale Lektüre.

Aber ich habe jetzt beschlossen: Nie mehr Mittelalter!