Rezension

Ein schicksalhaftes Jahr in Vancouver

Die Tasche aus Vancouver - Lisa Borg

Die Tasche aus Vancouver
von Lisa Borg

Bewertet mit 5 Sternen

~~Die 19-jährige Schweizerin Lisa hat erst eine Ausbildung absolviert, um sich dann ihren Wunsch zu erfüllen und als Au-Pair-Mädchen nach Kanada zu gehen, um Land und Leute kennenzulernen und ihre Englischkenntnisse zu verbessern. In Vancouver angekommen, lernt sie erst am Flughafen die kanadische Familie kennen, bei der sie das nächste Jahr verbringen wird. Schon bald hat sich Lisa eingelebt und kümmert sich um die Kinder und hilft im Haushalt, denn Familienoberhaupt Carl studiert Medizin und seine Frau arbeitet als Krankenschwester in der Nachtschicht. Lisa findet Kontakt zu einem anderen Schweizer Mädchen und lernt durch sie eine kanadische Clique kennen, die in der unmittelbaren Nachbarschaft wohnt. Ein junger Mann gewinnt sofort ihre Aufmerksamkeit, denn Josh ist ein toller Kerl. Lisa und Josh fühlen sich schnell voneinander angezogen und bald entwickelt sich eine feste Beziehung. Doch das junge Glück wird brutal unterbrochen, als Lisa eines Abends nach Hause kommt und Carl über sie herfällt, sie vergewaltigt und misshandelt. Wird die Beziehung zu Josh halten? Und wie wird Lisa mit dieser schrecklichen Erfahrung fertig, so weit weg von daheim?
Lisa Borg hat mit ihrem Buch „Die Tasche in Vancouver“ einen sehr berührenden und spannenden autobiographischen Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist in der Ich-Form gehalten und liest sich schön flüssig, man hat als Leser das Gefühl, man folgt einer Unterhaltung. Die Beschreibungen sind dabei so detailliert und ausführlich, dass man alles schön vor Augen hat und man alles gefühlsmäßig miterlebt. Auch die Landschaftsbeschreibungen und die Natur der Menschen sowie einige Gebräuche der Indianer sind sehr schön in die Handlung eingefügt und lassen vor dem inneren Auge interessante Bilder entstehen. Die eigentliche Geschichte des Missbrauchs und vor allem die Verarbeitung von diesem danach durch Lisa und ihren Freunden und Bekannten werden sehr ausführlich dargelegt und wirkt sehr authentisch, berührt dafür umso mehr. Das Rechtssystem in Kanada in diesem Fall lässt einen dagegen eher tief Luft holen, weil man sich vor Ärger die Haare ausreißen könnte.
Die Charaktere sind sehr lebendig ausgestaltet und als Leser kann man sich in die einzelnen Personen sehr gut hineinversetzen. Lisa ist eine lebenslustige junge Frau, die sich auf den Weg in ihr erstes großes Abenteuer wagt. Sie ist offen und kommt schnell mit Gleichaltrigen in Kontakt, aber sie ist auch zuverlässig und achtsam, kümmert sich rührend um die Kinder. Die ersten Anzeichen der Gefahr tut sie als schlechte Laune ab, geht aber etwas auf Distanz. Nach dem Missbrauch wirkt sie überängstlich, klammert sich regelrecht an ihren Freund Josh und steigert sich in vieles sehr stark hinein, was zwar verständlich ist, doch manches wirkt oftmals sehr überzeichnet. Josh ist ein außergewöhnlicher junger Mann, der selbst innerhalb der Familie schon eine Tragödie erlebt hat. Wahrscheinlich ist er deshalb so sensibel und hellhörig, dabei hilfsbereit und eine Schulter zum Anlehnen, obwohl er selbst von diesem Missbrauch auch betroffen ist und oftmals nicht weiß, wie er Lisa trösten soll, weil es ihn selbst so verletzt. Besonders erstaunlich sind die Kraft und der Mut, die sowohl Lisa als auch Josh aufbringen, um alles miteinander zu verarbeiten und wieviel Halt sie sich gegenseitig geben.
„Die Tasche aus Vancouver“ ist ein sehr authentischer und berührender autobiographischer Roman, der nachdenklich stimmt. Eine absolute Leseempfehlung für alle, die gern wahre Geschichten lesen und sich mit den Charakteren identifizieren können.