Rezension

Die Zähmung der Emilia Capelli

Siebenschön - Judith Winter

Siebenschön
von Judith Winter

"Es waren einmal in einem Dorfe ein paar arme Leute, die hatten ein kleines Häuschen und nur eine einzige Tochter, die war wunderschön und gut über alle Maßen. Sie arbeitete, fegte, wusch, spann und nähte für sieben, und war so schön wie sieben zusammen, darum ward sie Siebenschön geheißen." (Quelle: Projekt Gutenberg)

Was das Märchen "Siebenschön" aus der Sammlung Ludwig Bechsteins mit diesem Thriller außer dem Titel gemein hat? Nun, in kaum einer anderen Gattung wird so viel gemordet wie im Märchen. Prinzessinnen, Kutschen und Pferde? Ja schon, aber meist in Verbindung mit abgeschnittenen Fersen, vergifteten Äpfeln oder anderen grausamen Mordmethoden. In dem Märchen "Siebenschön" wird beispielsweise ein Haus in Brand gesteckt. Aber das alles hat erstmal noch nichts mit dem Thriller von Judith Winter zu tun. Es ist das Mädchen Siebenschön, das man hier wiederfinden kann. In Form der beiden Kommissarinnen Emilia Capelli und Mai Zhou. Denn Siebenschön war nicht nur wunderschön und fleißig wie ein Bienchen, sondern sie schämte sich auch ob ihrer Schönheit und wollte vielmehr für ihre Taten anerkannt werden. Sie war fleißig und strebsam, arbeitete emsig und wollte sich Wissen aneignen, doch jeder sah in ihr nur das kleine, hübsche Ding. Das gleiche Motiv findet man auch in der Figurenzeichnung der beiden Protagonistinnen in diesem Thriller: Emilia Capelli und Mai Zhou sind sehr jung, sehr strebsam, wollen und werden es weit bringen in ihrem Job und haben trotz ihrer glänzenden Karrierewege das Gefühl, sich in allem ein bisschen mehr anstrengen, ein bisschen mehr beweisen zu müssen. Gar nicht mal so sehr vor ihren Kollegen und Vorgesetzten, sondern vielmehr  vor ihren Familien, ihren kulturellen Wurzeln und vor allem vor sich selbst.

Das führt nun dazu, dass sich beide hinter Bergen von Schutzpanzern verbarrikadieren und nur wenigen Menschen einen Blick auf ihr wahres Gemüt gewähren. Emilia Capelli zum Beispiel führt sich in ihrer Dienststelle auf wie die Zicke vom Dienst. Oder wie ein Platzhirsch. Denn als ihr die neue Kollegin Mai Zhou als Partnerin an die Seite gestellt wird, ruhig, gelassen, die Contenance in Person, oh ha, da ist aber Theater angesagt. Befürchtete ich während der ersten Kapiteln noch, man müsse sich hier nun auf eine dauerhaft zickige Kommissarin einstellen, die tough sein will aber nur patzig sein kann, wurde, kurz bevor es anfing zu stören, die Kratzbürstigkeit der Emilia Capelli auf ein erträgliches Maß zurückgefahren und man konzentrierte sich auf die Handlung des Thrillers. Die Beziehung der beiden neuen Partnerinnen nahm nicht mehr Raum ein als es für die Figurenentwicklung nötig war und die war für meinen Geschmack gerade in der zweiten Hälfte gut gelungen. Man erhält von Mai Zhou und Emilia Capelli immer wieder kurze Eindrücke aus ihren Privatleben, sodass die Charaktere langsam Kontur annehmen konnten, ohne dass die Lebensgeschichten quasi mit der Tür ins Haus fielen. Das fand ich sehr angenehm und besonders authentisch umgesetzt, unterstrich es doch die Ausgangssituation ihrer Beziehung sehr gut. Auch in Hinblick auf weitere Folgebände bleiben die Figuren damit interessant.

Die Mordserie in "Siebenschön" fand ich sehr schön konstruiert und gebührend in Szene gesetzt, da fehlt es eigentlich an nichts. Wie meist bei den Serienmörder-Thrillern steckt auch hier ein ausgeklügeltes System hinter den Morden, der Killer hat sich etwas dabei gedacht und so liest sich der Fall spannend, nicht zuletzt, weil auch einige psychologische Aspekte mit einbezogen und erörtert werden.

Alles in allem ein wirklich runder Reihenauftakt, der ein tolles Erzähltempo an den Tag legt und in der Manier einer Tess Gerritsen einen sehr unterhaltsamen Thriller bietet. Mir hat hier wenig gefehlt, im Gegenteil war es schon fast erstaunlich, wie routiniert dieser Thriller wirkt, wenn man bedenkt, dass es sich um ein Debüt handelt. Aber es passt in sich, die Handlung funktioniert einfach und punktet letztendlich auch mit dem Ermittler-Duo Emilia Capelli und Mai Zhou, sehr unterschiedlich in ihrer Art, aber sehr ähnlich in dem, was sie bewegt. Ich freue mich auf den zweiten Band, der unter dem Titel "Lotusblut" inzwischen erhältlich ist.

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