Rezension

Die Geschichte farbiger und lesbischer Frauen aus drei Generationen

Mädchen, Frau etc.
von Bernardine Evaristo

Bewertet mit 5 Sternen

Amma Bonsu kämpfte 40 Jahre lang darum, dass in England schwarze Frauen auf der Theaterbühne und im Zuschauerraum selbstverständlich dazugehören. Als sie ihre Liebe für das Theater entdeckte, waren Theaterstücke offensichtlich noch nicht mitgedacht für die Nachkommen afrokaribischer und asiatischer Einwanderer aus ehemaligen britischen Kolonien. Amma kämpfte gegen Marginalisierung aufgrund von Hautfarbe und war Aktivistin für Diversität lange bevor der Begriff in aller Munde gelangte. Heute steht sie als erfahrene und bekannte Regisseurin vor der Premiere ihres Stücks im National Theatre. Das festliche Ereignis liefert dem Roman die Rahmenhandlung. Zu den Ehrengästen werden ihre Tochter, deren biologischer Vater und Gefährtinnen aus Ammas Kampf gegen das männlich dominierte und größtenteils weiße Establishment zählen. Falls Amma, die zur in den 60ern geborenen Generation der Baby-Boomer gehört, je ein anstrengender Teenager war, hat sie ihre frechen Sprüche inzwischen vielfach von ihrer kämpferischen Tochter Jazz zurückbekommen. Aus dem Baby, das im Tragetuch immer dabei war, wurde ein eloquenter Wirbelsturm, der seine Mutter gnadenlos an die Wand argumentiert. Die 19-jährige Jazz hat Amma belehrt, dass ihre Generation keinen „Cliquen“ mehr bilden würde, sondern Crews.

Aus den Crews/Clustern in Ammas Leben kombiniert Bernardine Evaristo die Geschichte farbiger Einwanderinnen auf die britischen Inseln, ihrer Töchter und Enkelinnen. Auch die Werte, die von drei Frauengenerationen vertreten werden, könnte man als eigene Cluster wahrnehmen. Am kompliziertesten erschien mir anfangs Ammas Abstammung von einem indisch-stämmigen Vater und einer schwarzafrikanischen Mutter, die sich jedoch in Guyana trafen, ehe sie ihr Glück im ehemaligen Kolonialstaat suchten. Ammas Lehrerin Shirley, ohne die sie heute nicht an diesem Ort stände, ihre Klassenkameradinnen (Carole und Latisha), Vorfahrinnen, aber auch alternative Projekte wie ein besetztes Haus und eine feministische Kommune in den USA verknüpft Evaristo zu einem dichten Bild-Teppich, der die Geschichte des Feminismus erzählt. Warum Shirley sich z. B. ausgerechnet gegen die einzige Frau im Lehrerkollegium auflehnte, symbolisiert noch heute eine der Kernfragen des Feminismus. Die Suche danach, wie die Cluster zusammenhängen und welche couragierten Vorfahrinnen die Frauen geprägt haben könnten, markiert den roten Faden des Romans.

Geschrieben ist das preisgekrönte Mosaik, als würde es atemlos ohne Punkt und Komma erzählt, Absätze stehen an Stelle der erwarteten Satzzeichen. Das mag zu Anfang als Hürde wirken, ich fand diese Struktur jedoch leicht nachvollziehbar. Sie wird von einer Autorin angewandt, für die es vor 40 Jahren noch normal war, ständig von männlichen Halbgöttern unterbrochen zu werden, selbst wenn die nichts zum Thema beizutragen hatten. Wer ohne Punkt und Komma erzählt, einschiebt, ausholt, erklärt, kann nicht so leicht unterbrochen werden.

In sensibler Übersetzung und mit köstlich ironischem Unterton  legt Bernardine Evaristo eine amüsante Geschichte schwarzer lesbischer (und trans) Feministinnen vor. Ihre Berg-und Talfahrt der Emotionen wird Uralt-Feministinnen einen Toast auf die Freundinnen von Greenham Common ausbringen lassen – und ist einfach ein urkomisches wie berührendes Buch.