Rezension

Beeindruckend zu was Literatur imstande sein kann

Mädchen, Frau etc.
von Bernardine Evaristo

Bewertet mit 5 Sternen

Ein wichtiges Buch, mit einem starken Kern, das Umdenken fördert, zur Selbstüberprüfung aufruft, Horizonte aufreißt und zu Recht mit dem Booker Preis 2019 ausgezeichnet wurde.

"Mädchen, Frau etc.", aus dem Tropen Verlag - großartig übersetzt von Tanja Handels - ist ein "Mammutprojekt", dem sich die Autorin Bernadine Evaristo über mehrere Jahre gewidmet hat. Zwölf Geschichten über zwölf Frauen, die mal mehr mal weniger miteinander verbunden sind; hauptsächlich "PoC", unterschiedlich in Alter, Klasse, Geschlecht, Ethnizität, Sexualität, Weltanschauung und Charakter. Und genauso bunt wie sich die Figuren hier präsentieren, sind auch die Themen die Evaristo in ihren Erzählungen anspricht. Es geht um Rassismus, Diversität, Gendergerechtigkeit, Ausgrenzung, die weibliche Identität und den Wandel, dem wir stetig ausgesetzt sind.
Eingerahmt werden die intersektionalen Erzählungen von der Premiere eines Theaterstücks mit dem Titel "Die letzte Amazone von Dahomy" am National Theatre in London. Das Stück bietet sich als Einstieg in das Buch durchaus an, denn jede der Frauen in diesem Buch trägt auf die ein oder andere Art einen Kampf aus; gegen Andere, gegen sich selbst, gegen das Establishment, für eine bessere Zukunft, gegenseitiges Verständnis und ein besseres Leben.
Als Leser:In wird man mit einer Flut von Informationen konfrontiert, die man erstmal verarbeiten muss. Das und der besondere Schreibstil, den Evaristo als "Fusion Fiction" bezeichnet, machen im wesentlichen den Knackpunkt aus, der darüber entscheidet, ob Evaristos Werk gefällt oder eben nicht.
Das Buch braucht einen wachen Geist. Es hat mich tief beeindruckt, meinen Kopf und mein Herz auf eine Art und Weise gefüllt, wie ich es lange nicht mehr erlebt habe. Es sprüht nur so vor Leben, Leidenschaft, Kreativität und Energie. Jeder Charakter hat eine ganz eigene Stimme und da Evaristo fast gänzlich auf Satzzeichen verzichtet, haben die Erzählungen von Anfang an eine extrem starke Sogwirkung auf mich ausgeübt; auch wenn mich nicht jede Geschichte inhaltlich gleichermaßen stark für sich einnehmen konnte, aber das liegt in der Natur der Sache.
Wie anders ein Text plötzlich wirkt und bei einem ankommt, sobald gewisse Regeln außer Acht gelassen werden und er sich abseits ausgetretener Pfade bewegt. Fast wie Poesie, fließend und frei. "Mädchen, Frau etc." zeigt auf, zu was Literatur imstande sein kann. Ein wichtiges Buch, mit einem starken Kern, das Umdenken fördert, zur Selbstüberprüfung aufruft, Horizonte aufreißt und zu Recht mit dem Booker Preis 2019 ausgezeichnet wurde.