Rezension

Konstruiert, überspannt und oberflächlich.

Mädchen, Frau etc.
von Bernardine Evaristo

Bewertet mit 2 Sternen

Bernardine Evaristo hat für diesen Roman als erste schwarze Frau den berühmten Booker-Preis bekommen. Das lässt aufhorchen und macht neugierig. Die Power, die Evaristo in Interviews und Lesungen verströmt, ist auch in ihr Schreiben eingeflossen und die Idee hinter dem Roman ist originell, aktuell und absolut interessant. Mich konnte der Roman dennoch nicht überzeugen, da die Umsetzung in einigen Aspekten meiner Meinung nach unausgegoren ist.

Evaristo spinnt in diesem Episodenroman ein Netz aus Geschichten, knüpft kraftvoll eine Stimme an die nächste und verwebt die unterschiedlichen Lebensläufe ihrer 12 Protagonistinnen mit brennenden Themen unserer Zeit. Entstanden ist eine bunte Patchworkdecke, welche die verschiedenen Facetten schwarzen weiblichen Lebens über Generationen hinweg aufzeigt. Die Figuren sind ausgefallen, verrückt, frech, modern und selbstbewusst, aber auch bodenständig, konservativ, streng und frustriert. Es geht um Feminismus, (Alltags-)Rassismus, Sexismus, Klassismus und (weibliche) Identität. Doch genau diese Vielfalt wird dem Roman zum Verhängnis. Die Autorin möchte so viele Aspekte unterbringen und spricht so viele diskussionswürdige Punkte an, dass sie inhaltlich nicht die Tiefe herstellen kann, die ich mir gewünscht hätte. Man rauscht durch dieses Buch, rauscht entlang der Lebenswege durch die Probleme der Figuren, möchte mitfühlen und verstehen. Doch dafür bietet Evaristo keinen Raum. Knapp 40 Seiten pro Leben, da muss zwangsläufig gestaucht und im Zeitraffer erzählt werden.

Dabei mangelt es definitiv nicht an Dramatik. Jede noch so unbedeutende Nebenfigur bekommt einen tragischen Hintergrund oder Lebenslauf.  Da wären beispielweise die Zwillinge, die von einem lesbischen Paar adoptiert werden. Warum wird hier thematisiert, dass deren Eltern in einem Bandenkrieg verfeindeter Gangs ums Leben gekommen sind? Diese Zwillinge werden im weiteren Verlauf der Geschichte mit keinem Wort mehr erwähnt… Diese unnötige Überfrachtung der Geschichte mit unwichtigen Details verhindert eine tiefere Auseinandersetzung mit den wirklich wichtigen Fragen. Auch hinsichtlich der Handlungen und Motive der Figuren konnte ich oftmals leider nur den Kopf schütteln. Hier wird konstruiert was das Zeug hält, damit Geschichten „aufgehen“ und Happy Endings entstehen. Psychologisch so „fein“ gezimmert, dass ich zwischen den Brettern hindurch gefallen bin. Das war mir größtenteils zu gewollt und überspannt. Hätten die Figuren mehr Zeit und Raum zur Entwicklung bekommen, wären gewisse Handlungsstränge möglicherweise nachvollziehbarer geworden. Leider blieben mir die Figuren trotz der unzähligen Ausschmückungen fremd und wirkten wie Abziehbilder ihrer selbst, flach und stereotyp. Die Ironie dabei ist, dass die Autorin vermutlich genau das vermeiden wollte.

Mein Gefühl beim Lesen war ein ständiges Hin und Her zwischen „zu viel“ und „zu wenig“. Von einem hochgelobten und preisgekrönten Roman habe ich mir eine tiefere Auseinandersetzung mit den angeschnittenen Themen gewünscht. Stattdessen bekam ich Details im Zeitraffer, Klischees und Kitsch. Es wirkt ein wenig, als wollte die Autorin schnell auf den Trendzug aufspringen, der ein möglichst breites Publikum mit den Schlagworten Feminismus und Rassismus versorgt, dabei aber nur an der Oberfläche kratzt. Vielleicht hatte ich zu hohe Erwartungen, aber ich kann den Hype um diesen Roman leider nur bedingt nachvollziehen.

Anmerkung zum Hörbuch, da ich die Geschichte abwechselnd gehört und gelesen habe: Constanze Becker hat den Roman hervorragend eingelesen. Ihre angenehme Stimme verleiht jedem Charakter einen individuellen Ton und macht die Lesung lebendig. Der besondere Schreibstil der Autorin, der auf Punkte am Satzende verzichtet und mit Zeilenumbrüchen und Absätzen spielt, geht in der gelesenen Version natürlich verloren. Er bietet meines Erachtens nach aber auch keinen besonderen Mehrwert. Wer sich grundsätzlich für den Roman interessiert und Spaß am Hören hat, dem kann ich die gelesene Version empfehlen.