Rezension

Die Autorin grenzt sich mit ihrer Geschichte deutlich von dem Mainstream des Jungendbuch Genres ab

LILLESANG – Das Geheimnis der dunklen Nixe - Nina Blazon

LILLESANG – Das Geheimnis der dunklen Nixe
von Nina Blazon

Bewertet mit 5 Sternen

Am liebsten lese ich Bücher, die mich meinen Alltag ein wenig vergessen lassen und mich auf eine kleine Reise in fremde Städte, ferne und faszinierende Länder oder in eine längst vergangene Zeit schicken. Diese Bücher sind wie ein kleiner Urlaub. Nur wenige Autoren schaffen es, mir ein Gefühl zu vermitteln, dass ich wirklich in die Kulisse ihrer eigens kreierten Geschichten eintauchen und alles um mich herum vergessen kann. Nina Blazon hat es bisher immer geschafft und ich freue mich jedes Mal, wenn ich ein neues Buch, von dieser außergewöhnlichen Autorin, lesen darf. In ihrem neuen Buch „Lillesang – Das Geheimnis der dunklen Nixe“ hat sie mich wieder an atemberaubende Plätze geführt und mich an ihrer wunderschönen Geschichte teilhaben lassen.

Jolanda, die von allen nur Jo genannt wird, hat eine ganz besondere Beziehung zum Wasser. Wenn sie in der Nähe von dem kühlen Nass ist, fühlt sie sich förmlich von ihm angezogen. Anders als ihre Mutter, die das Wasser meidet und auch Jo am liebsten davon fernhält. Die Gründe für dieses Handeln kennt Jo nicht, und wenn sie danach fragt, hüllt sich ihre Mutter in Schweigen. Eines Tages erhält Jos Familie die überraschende Nachricht, dass sie ein Haus an der dänischen Küste geerbt haben, von einer Tante, von deren Existenz anscheinend nur ihre Mutter wusste. Als Jo zum ersten Mal dieses Haus betritt, spürt sie sofort, dass dort noch viele Geheimnisse schlummern …

Blazon hat sich für ihr neues Buch sehr passende Schauplätze ausgesucht: die sagenumwobene Küste von Dänemark und die geschichtsträchtige Stadt Kopenhagen. Schon vor langer Zeit erzählte man sich hier Geschichten über wunderschöne, verdammte und seelenlose Wasserfrauen, die nur durch die Liebe eines Menschen von ihrem Schicksal erlöst werden können. Jedoch hört Jolanda, die Hauptprotagonistin dieser Geschichte, eine ganz andere. Die des Gongurs, einem wandernden Toten, der im Meer keine Ruhe findet und so eifersüchtig auf die Lebenden ist, dass er sie im Mondschein heimsucht und mit sich ins Meer zieht.

„Sie glaubte, dass Ertrunkene zurückkehren. Dass sie an Türen klopfen und um Einlass bitten. Wer … ihnen aufmacht, lädt den Tod ins Haus …“ Seite 140 

Geschichten von ertrunkenen Kindern, Stimmen, die schlafwandelnde Mädchen an den Strand locken, alte Fotos, auf denen Gesichter herausgekratzt sind und ein Angst einflößendes Geschöpf mit Klauen bestimmen von nun an die ungeplante Reise von Jo und ihrer Familie. Und auch wir Leser werden Zeugen von unheimlichen Begebenheiten und erfahren von uralten Geheimnissen.

Nina Blazon ist bekannt dafür, dass sie gerne Realität und Fiktion gekonnt miteinander vermischt. Auch in „Lillesang – Das Geheimnis der dunklen Nixe“ verschwimmen die Grenzen und der Leser kann kaum zwischen dem schaurig schönen Schein und der Wirklichkeit unterscheiden. Und so führt Blazon uns auf viele holprige und dunkle Wege in ein ungewisses, immer wieder überraschendes und spannendes Abenteuer.

Nina Blazons Stil ist unverkennbar und außergewöhnlich. Sie umhüllt den Leser nach wenigen Zeilen mit ihrer bildgewaltigen Sprache und lässt ihn in unfassbare Kulissen eintauchen. In „Lillesang – Das Geheimnis der dunklen Nixe“ überzeugt sie auf ganzer Linie mit einem perfekt recherchierten, komplexen, sehr scharfsinnigen und mitreißenden Geschehen. Auch wenn die Autorin ihren Schwerpunkt auf eine deutlich jüngere Zielgruppe gelegt hat, war diese in sich abgeschlossene Geschichte, mit ihren sehr authentischen und manchmal undurchsichtigen und überraschenden literarischen Figuren ein absolutes Leseerlebnis und ein wahrer Genuss für mich. 

Die Autorin grenzt sich mit ihrer Geschichte deutlich von dem Mainstream des Jungendbuch Genres ab, indem sie komplett auf abgenutzte Klischees, unnützes Seitenfüllen und eindimensionale Charaktere verzichtet. Hier könnte sich der eine oder andere Autor eine Scheibe von abschneiden, der frei nach dem Motto „Masse statt Klasse schreibt“.