Rezension

Wenn eine Kleinstadt dem Wahnsinn verfällt

Böse - Bentley Little

Böse
von Bentley Little

Bewertet mit 3.5 Sternen

In der Kleinstadt Willis herrscht eintönige Idylle. Die Nachbarn kennen sich, man trifft sich mit seinen Freunden, pflegt seinen Garten und will den beginnenden Sommer genießen. Familie Albin fläzt sich träge durch den Tag. Dies ändert sich schlagartig, als der beliebte Postbote Bob Ronda vollkommen überraschend Selbstmord begeht. Keiner kann diese Tat fassen, Gründe sucht man vergebens. Bereits auf der mehr als gut besuchten Beerdigung erscheint der neue Postbote der Kleinstadt namens John Smith. Doug Albin wird schon dort misstrauisch, da der seltsame Mann ein ungutes Gefühl in ihm auslöst. Er soll damit Recht behalten, denn schon bald stürzt Willis in ein Chaos aus Zwietracht, Verleumdung und Hass. Das Böse ist eingekehrt und noch Schlimmeres wird kommen.

Mag man Stephen King, so wird man Bentley Little auch mögen. Der Schützling des “King of Horror” beschreibt ähnlich gut eine typische Kleinstadtidylle und was passiert, wenn ganz normale Dinge vom Bösen begleitet werden. Die Kleinfamilie Albin besteht aus dem Vater und Lehrer Doug, der gesundheits- und familienbewussten Mutter Trish und dem präpubertären Billy. Aus deren Sicht wird geschildert, wie sich die alltäglichen Situationen in Willis durch den Postboten und seine Machenschaften verändern. “Böse” erzählt hier stark von Manipulation und den wahnsinnigen Auswirkungen, die diese nach sich ziehen.

Während des ersten Viertel des Buches kommt Little leider etwas schwer in Fahrt. Dem Leser ist bereits sehr früh unmissverständlich klar, dass der neue Postbote nur Schlechtes im Schilde führt. Little verliert sich jedoch in den Beschreibungen des täglichen Lebens, so dass erst ab Seite 100 der Horror beginnt.
John Smith manipuliert die Gedanken der Bewohner Willis durch das Zustellen von Post. Sehr offen und ersichtlich sortiert er bereits beim Leeren der Briefkästen die Post vor und kaum ein wirklich aufgegebener Brief erreicht den Empfänger. In Zeiten, als das Internet noch nicht die heutige Bandbreite und deren Möglichkeiten darstellte, sind in Willis alle Einwohner betroffen. Rechnungen kommen nicht an und werden nicht bezahlt. Doch ist dies nicht das Schlimmste. Durch perfide persönliche Briefe erzeugt Smith Missgunst und Hass, so dass sich bald selbst die besten Freunde nur noch mit Verachtung begegnen, andere in den Wahnsinn abtreiben und es auch zu Mord und Totschlag kommt. Und inmitten dieses Molochs tanzt freudig ein vergnügter Postbote.

Wie abhängig ist der Mensch von der Post, wie gutgläubig geht man mit schriftlichen Äußerungen um, auch wenn man einen Menschen eigentlich ganz anders kennt? Was bewirken Klatsch und Tratsch, der an den falschen Ecken ankommt und wie verändert sich eine vermeindlich harmonische Stadt unter solchen Bedingungen? Von diesem durchaus realen Horror erzählt Bentley Little mit einem nur sehr leichten übernatürlichen Touch. Wer also harten Splatterhorror erwartet, wird mit diesem Buch wenig anfangen können.

Neben dem etwas schwerfälligen Start in die Geschichte fragte ich mich häufig, ob wirklich alle Menschen Willis (außer der Familie Albin natürlich) derart gutgläubig wären und nicht einfach Dinge hinterfragen würden. Mir ist natürlich bewusst, dass sich viele Menschen sehr leicht manipulieren lassen, doch denke ich trotzdem, dass es mehr Personen geben würde, die ähnlich wie die Protagonistenfamilie handeln würden. Auch diese ist mir teilweise etwas zu gutgläubig und naiv geschildert, ich persönlich wäre bereits wesentlich früher an die Decke gegangen und hätte versucht einzuschreiten. Ich hätte mir an dieser Stelle eine etwas tiefgreifendere Vielschichtigkeit in der Bevölkerung gewünscht.

Als letzten Kritikpunkt erschien mir der Schluss etwas zu einfach und lasch. Vielleicht ist dies auch nur meiner persönliche Vorliebe für ein fulminantes Finale geschuldet, ich hätte mir einfach ein heftigeres, bombastischeres Ende geschwünscht.

Trotzdem hat mir das Buch gut gefallen. Little kann gut schreiben, zieht seinen Horror aus dem Alltag heraus und macht diesen gerade deswegen dem Leser umso präsenter und wahrscheinlicher. Zudem lässt er durch diese spannende Geschichte auch die Frage aufkommen, wie sehr man Institutionen und Medien trauen sollte und wie abhängig man von solcherlei Dingen eigentlich geworden ist. “Böse” ist eine Empfehlung für jeden Leser, der an den Abgründen des Alltags, dem zwischenmenschlichen Horror und ein wenig Übernatürlichkeit interessiert ist.