Rezension

Was für ein Buch?

Die geheimste Erinnerung der Menschen -

Die geheimste Erinnerung der Menschen
von Mohamed Mbougar Sarr

Bewertet mit 4 Sternen

Mit dem Lesen des vorliegenden Romans habe ich an einem vielschichtigen Erlebnis teilgenommen. Multiple Emotionen wurden ausgelöst und gleichzeitig kann ich das Gelesene nicht vollständig greifen. Wenn ich darüber nachdenke, finde ich viele interessante, angesprochene Themen wieder. Trotzdem habe ich das Gefühl, der Inhalt des Romans würde mir entgleiten, so als ob Sand unaufhaltsam durch die Finger rinnt. Das war auch schon während des anspruchsvollen Leseprozesses der Fall.

Inhaltlich lässt sich der Roman somit kaum rekapitulieren. Übergreifend kann ich sagen, dass die Protagonisten dem französischen Literaturbetrieb angehören und überwiegend afrikanische Wurzeln haben. Ihr Schaffen findet in zeitlicher Hinsicht auf Distanz statt. Die beiden Hauptfiguren, der Doktorand Diégane Faye und der Autor des legendären Buches „Das Labyrinth des Unmenschlichen“, T. C. Elimane, treten dabei lediglich über Dritte in Kontakt. Streng genommen, stößt Diégane Faye auf der Suche nach der eigenen Identität als Schriftsteller mehr oder weniger zufällig auf Elimanes Roman, der dann in der Folge scheinbar Besitz von Diégane ergreift. Fast nebenbei finden Themen wie die Weltkriege aus Sicht der kolonialisierten Welt, maßlose Gewalt, Rassismus im Literaturbetrieb, Glaube und Spiritualität sowie freie Sexualität ihren Platz in Mohamed Mbougar Sarrs Roman.

Das war in meiner Wahrnehmung eigentlich ein Overload, ein bisschen zu viel von Allem. Manchmal gingen mir die vielen Erzählperspektiven auch ein Stück weit auf die Nerven. Nur mit höchster Konzentration war es überhaupt möglich, den Gedanken des Autors zu folgen. Dennoch habe ich mich von Diéganes Wahn, Elimane zu finden, anstecken lassen. Dabei bin ich interessanten Zwischengeschichten begegnet, habe auf historische Ereignisse einen anderen Blickwinkel eröffnet bekommen. Eine beeindruckende Erfahrung.

Rückblickend empfinde ich den Roman als literarisches Kunstwerk und ein bisschen auch als Geniestreich. Wir lesen einen literarisch sehr hochwertigen Text, in dem Elimane mit seinem Roman als „schwarzer Rimbaud“ zunächst gefeiert, später fast ausschließlich verrissen wird. Dabei ist Elimanes Werk eine Ode an die Weltliteratur. Passend zu diesem Geniestreich greifen auch die Titel der Romane gekonnt ineinander. Wir lesen „Die geheimste Erinnerung der Menschen“, der Roman im Roman ist mit „Das Labyrinth des Unmenschlichen“ überschrieben. Ausgehend von ihren Titeln gehen die beiden Geschichten ineinander über, verschwimmen ein wenig und das Lesen fühlt sich ein bisschen an wie in Trance. Das hatte schon was.