Rezension

Sehr komplexe Geschichte

Die geheimste Erinnerung der Menschen -

Die geheimste Erinnerung der Menschen
von Mohamed Mbougar Sarr

Bewertet mit 3 Sternen

Diégane lebt in Paris und schreibt an seiner Doktorarbeit - zumindest sollte er das. Doch vielmehr ist er mit seinem eigentlichen Traum beschäftigt: er will einen anspruchsvollen, richtungsweisenden Roman schreiben. Durch eine zufällige Bekanntschaft mit der Autorin Siga D. kommt er in den Besitz eines Buches, das im Frankreich der 30er Jahre einen gewaltigen Skandal auslöste. Es handelt sich um den Roman "Das Labyrinth des Unmenschlichen", geschrieben vom schwarzen Schriftsteller T.C. Elimane, der damals als "Schwarzer Rimbaud" gefeiert wurde - und persönlich nie in Erscheinung getreten ist. Elimane wuchs im kolonialisierten Senegal auf und kam 1935 mittels eines Stipendium nach Frankreich, um an einer Pariser Hochschule zu studieren aus welcher Intellektuelle, Denker, Schriftsteller und Professoren hervorgingen. Elimanes Roman wird in gebildeten Kreisen unter größter Faszination gelesen, doch die kolonialistische Denkart ist tief in der Gesellschaft verankert und der senegalesische Autor seinen Kritikern, nunja, nicht schwarz genug. Die Kritiker schreiben: "Wir hätten mehr tropisches Kolorit, mehr Exotismus, mehr Durchdringung der rein afrikanischen Seele erwartet. [...] Der Autor ist gebildet. Doch wo ist das echte Afrika in alldem?" (S. 93). Hinterfragt wird dabei auch in weitgreifenden intellektuellen Kreisen die Herkunft des Autors, ist es ja schließlich ungewöhnlich, schwarz zu sein und doch so einen klugen Roman verfassen zu können - ist das nicht ein Widerspruch? Genauestens wird das Werk also unter die Lupe genommen und bald aufgrund von schwerwiegenden literarischen sowie ethnologischen Plagiatsvorwürfen aus dem Verkehr gezogen. Dann aber sterben die Kritiker des Autors, hauptsächlich durch eigene Hand - ganz gleich, ob die Kritiken positiv oder negativ waren. Zufall oder steckt doch mehr dahinter? Hat das Buch seine Kritiker in den Wahnsinn und folglich in den Selbstmord getrieben, oder war der Autor gar der schwarzen Magie fähig und nutze sie auf seinem blutigen Rachestreifzug gegen die Kritiker seines Werkes?

Mit dem beginnenden Kriegseinzug Frankreichs erlischt der Skandal um den Autor endgültig, das Buch gerät in Vergessenheit und die Existenz des immer noch unbekannten Autors wird verdrängt. Bis Diégane an das vermutlich letzte Exemplar des verschollenes Werks gerät, fließt viel Wasser die Seine hinab, doch rund 80 Jahre später ist er sofort fasziniert von der Geschichte des Romans und um die Geschichte des "schwarzen Rimbauds". So begibt er sich auf eine literarische Ermittlung, sucht im dichten Nebel der Literaturgeschichte nach vereinzelten Spuren des vergessenen Autors, taucht immer tiefer in die Geschichte von Elimane hinab im Bestreben, ihn zu finden.

Bei Mohamed Mbougar Sarrs zweifellos meisterhaft erzählten Werk "Die geheimste Erinnerung der Menschen", welches 2021 mit dem französischen Literaturpreis "Prix Goncourt" ausgezeichnet wurde, handelt es sich um eine eindrucksvolle Geschichte durch Raum und Zeit; über Ländergrenzen und Kontinente hinweg, von der Gegenwart bis in die Vergangenheit greifend. Es ist eine geheimnisvolle, aufregende Spurensuche, die viel Aufmerksamkeit erfordert und bei der man am Ball bleiben muss, um sich nicht unterwegs irgendwo zu verlieren. Einer Geschichte mit so vielen Charakteren unterschiedlicher Zeiten täte ein Personenregister vielleicht ganz gut, ich fand es zwischendurch etwas verwirrend und auch ermüdend, den Handlungssträngen zu folgen und nachzuvollziehen, über wen gerade überhaupt erzählt wird. Aber wer sich ins Labyrinth aufmacht, wird auch irgendwann am Ziel ankommen, nur komplett packen konnte es mich leider nicht und es hat mich zwischendurch auf längerer Stecke gelangweilt. Dennoch war der Roman eine interessante, rätselhafte Irrfahrt durch die Zeit und das Leben eines wie vom Erdboden verschluckten Menschen, und beim erneuten und genaueren Lesen ließen sich sicherlich noch einige lose Fäden miteinander verbinden.