Rezension

Spannender Auftakt einer neuen Reihe

Der Morgen
von Marc Raabe

Bewertet mit 5 Sternen

Eine spannende Mischung aus Kriminalfall, Zwischenmenschlichkeit und der Gegenwart. Lesenwert!

Es ist Winter in Berlin und an der Siegessäule treibt der Schnee durch die Nacht. Das perfekte Szenario, um eine Leiche zu finden. Mitten auf der Straße steht ein Lieferwagen, auf dessen Ladefläche eine tote Frau liegt. Die Adresse auf ihrem Bauch führt die Ermittler direkt zum Bundeskanzler. Was mag dieser mit dieser toten Frau zu tun haben?

Art Mayer hatte seinen Dienst quittiert und sich in Kreuzberg verkrochen. Er wollte nichts mehr mit dem BKA zu tun haben, bis ihn Martin Buchwald anruft und ihn förmlich anfleht zurückzukommen. Seine Erfolgsquote spricht für sich, seine Methoden allerdings auch. Mit diesen eckt Art immer wieder an und dennoch brauchen die Kollegen ihn. Art ist nach außen hin ein unnahbarer Typ und dennoch machen ihn seine ganz persönlichen Erfahrungen und Verhaltensweisen irgendwie auch weich und verletzlich. Er ist eine vielseitige Figur und mir am Ende des Buches immer noch ein Rätsel. Und das, obwohl der Leser doch schon so einiges über ihn erfährt. 

Nele Tschaikowski ist die Neue im Team. Man könnte meinen, sie sei ein Mäuschen, aber schnell bemerkt man, dass sie genau das nicht ist. Sie ist mutig, klug und tough, wenn auch noch unerfahren. Gerade deshalb lernt Art sie schnell zu schätzen. Ich hatte sogar den Eindruck, dass er ihr zum Ende hin mehr von sich offenbart als jedem anderen in seinem Umfeld. Ein Typ wie Art würde das wohl kaum ohne ein gewisses Maß an Vertrauen tun, obwohl er versucht, eine gewisse Distanz zu Nele (und zum Leser) zu halten. Andersherum weiß er jedoch auch, Neles Geheimnisse für sich zu behalten. 

Der Roman entwickelt sich von der ersten Seite an stetig aufwärts. Die Spannung ist immer da und man möchte unbedingt wissen, was weiter passiert. Erst ziemlich am Ende wird die Auflösung präsentiert, wenngleich der Leser nicht umhin kommt, selbst Vermutungen anzustellen. Aber die immer wieder falschen Fährten lassen es spannend bleiben. 

Marc Raabe hat hier - nach seiner Tom Babylon Reihe - ein neues, sehr unterschiedliches Ermittlerduo geschaffen, das absolut authentisch wirkt und für den Leser nach einer Weile vertraut erscheint. Mir hat richtig gut gefallen, dass Art, der eigentlich ein eher abweisender Typ ist, schon recht früh zeigt, dass er durchaus empathisch sein kann und vor allem, dass er Neles Vorzüge zu schätzen weiß. Es entsteht also auch ganz am Anfang kein wirkliches Hick-Hack zwischen den beiden, sondern jeder weiß, was er am Anderen hat. Und zwischen allem “Profi sein” kommt hin und wieder das Menschliche zum Vorschein, was die beiden so sympathisch macht.

Die Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Da jedoch anfänglich nicht klar ist, wer aus der Vergangenheit wer in der Gegenwart ist, kommen die Erkenntnisse eher häppchenweise. Das hat der Autor sehr geschickt gelöst. Ebenso, dass er die Hintergründe seiner Figuren, die in der Vergangenheit ihre Erklärung haben, nicht sofort präsentiert, sondern auch nach und nach, hält die Spannung hoch. 

Mit der Erzählung auf zwei Zeitebenen hat Raabe ja bereits Erfahrung und das merkt man auch. Allerdings ist die Gegenwart sehr nah an der momentanen, sehr realen Gegenwart, wie wir sie kennen. Themen wie Corona, der Ukrainekrieg oder auch die Probleme mit der Gasversorgung halten Einzug. Ein besonderes Augenmerk legt der Autor jedoch auf die digitalen Medien, welche Auswirkungen sie haben können und wie vor allem die Öffentlichkeit durch sie beeinflusst wird. Das macht den Roman überaus authentisch, ohne dass sich der Autor zu sehr in Politik ergehen würde. 

Der Schreibstil ist gewohnt leicht zu lesen. Mir gefällt es, dass der Autor es vermag, Stimmungen einzufangen und Örtlichkeiten zu beschreiben, ohne dabei allzu ausschweifend zu werden. Die Beschreibungen schwingen immer mit, aber die Handlung bleibt stets im Vordergrund. So wird ein gewisses Kopfkino erreicht. Ich denke, auch Leser, die Berlin nicht kennen, werden sich dennoch wie zu Hause fühlen, sich einfangen lassen von dem, was der Autor beschreibt.

Normalerweise sind Cover für mich nicht wirklich wichtig. Aber in diesem Fall ist es einfach speziell. Das grelle Pink dürfte im Buchladen aus den ganzen anderen Covers hervorstechen und der schwarze Buchschnitt tut sein Übriges. Ich finde es sehr gelungen, schon deshalb, weil es etwas anderes ist, als man es gewohnt ist. 

Fazit:

Ein rundum gelungener Roman, ein Pageturner, der trotz seiner knapp 600 Seiten nie langweilig wird. Wer Tom Babylon mochte, der wird Art Mayer zu schätzen wissen. Ich bin sehr gespannt auf den 2. Teil, der allerdings erst in 2024 kommen soll. Klare Leseempfehlung von mir.