Rezension

Sehen mit dem Herzen

Derselbe Tag im Dezember -

Derselbe Tag im Dezember
von Nena Siara

Bewertet mit 3.5 Sternen

„Mein Leben ist ein Geschenk und meine Erblindung ermöglicht es mir, die Dinge so zu erleben, wie ich sie erfahre. Mit dem Herzen.“

„Derselbe Tag im Dezember“ ist ein Liebesroman von Nena Siara. Er erschien im Dezember 2022 im dp Verlag.

Elsa wirkt auf mich freundlich, eher zurückhaltend und manchmal etwas unsicher. Dabei ist sie sich ihrer Blindheit absolut bewusst und sieht sie meistens nicht als Last, sondern als Teil von sich. Sie akzeptiert ihr Handicap an den meisten Tagen und kommt weitestgehend gut damit zurecht. Wenn da nicht diese anderen Momente wären. Momente, in denen sie auf andere Leute angewiesen ist und sich nicht traut, um Hilfe zu bitten. Momente, in denen sie um Hilfe bittet, dann aber nicht ernst genommen wird. Momente, in denen sie das Gefühl hat, für andere ein Klotz am Bein oder sogar eine Gefährdung zu sein.
Nicht jeder Mensch kann mit Blinden umgehen, umso überraschter ist Elsa, als sie Kit auf der Reise nach Paris begegnet. Dieser verhält sich ihr gegenüber überraschend normal und sieht nicht nur Elsas Blindheit, sondern Elsa als Menschen. Darüber hinaus entfacht er in Elsa ein Kribbeln und übt eine Anziehungskraft auf die junge Frau aus, die sie bisher noch nie erlebt hat… Gemeinsam erkunden sie Elsas Heimatstadt – die Stadt der Liebe – und wissen doch, dass ihre Tage gezählt sind. Elsa muss schließlich zurück nach New York, Kit nach Haiti – doch ein Treffen im nächsten Jahr zur selben Zeit in Paris soll über ihr Schicksal entscheiden…
Grundsätzlich waren mir Kit und Elsa sehr sympathisch. Elsas Gefühle und Gedanken werden durch die Ich-Perspektive sehr gut greifbar und auch ihre Blindheit wird dem Leser anschaulich und deutlich beschrieben. Elsas Handlungen hingegen sind für mich nicht immer nachvollziehbar und gerade ihr anfängliches Auftreten gegenüber Kit will nicht zu dem Persönlichkeitsbild passen, das ich von ihr habe. Wie bereits oben beschrieben, wirkt sie auf mich im Umgang mit Männern eher schüchtern, und auf Grund eines emotionalen Traumas eher zurückhaltend und nicht wie jemand, der einem Fremden sofort seine Jungfräulichkeit schenkt. Auch ihr unglaublich kindischer Umgang mit ihrer Schwester, mit der sie sich an Weihnachten prügelt, kann ich absolut nicht als authentisch empfinden.
Ebenso erging es mir leider mit Kit. Er ist ein absoluter Good Guy: ohne Ecken und Kanten und einfach perfekt. Ja, er hat sein Päckchen zu tragen, aber er ist durch und durch unfehlbar und damit für mich einfach zu glatt, um einen echten Eindruck zu hinterlassen. Wirklich gefallen haben mir hingegen Elsas Eltern als Nebenfiguren, die ihren blinden Töchtern ein möglichst normales Leben ermöglichen möchten und stets für sie da sind.
Die Geschichte von Elsa und Kit ist für mich leider ebenso schwierig wie die Figuren an sich. Die erste Romanhälfte war geprägt von erotischen Szenen und einer großen Portion Kitsch, die irgendwie typisch Paris war. Mir ging die Handlungsentwicklung hier viel zu schnell und die Annäherung der beiden Protagonisten empfand ich auf Grund ihrer Charakterisierung als überhastet und damit als unrealistisch. Dazu kamen ein eher holpriger Schreibstil sowie eine etwas gestelzte Sprache, die mir das Lesen erschwerten. Gerade das Wort „Septum“ (welches ich wirklich nachlesen musste) tauchte für meinen Geschmack viel zu oft und ohne wirklichen Sinn auf. Wieso spielt der Nasenring der Hauptfigur bloß eine solch große Rolle, dass er immer wieder erwähnt werden muss? 
Glücklicherweise änderte sich mein Empfinden in der zweiten Romanhälfte, nach dem ersten Kennenlernen vergehen zwei weitere Jahre, in denen Kit und Elsa hoffen, sich wiederzutreffen. In dieser Zeit passiert gerade mit Elsa sehr viel. Sie entwickelt sich weiter, wächst an sich selber und erkennt, dass man Gefühle zulassen muss. Sie darf keine Angst haben, jemanden mit ihrer Blindheit zu gefährden, denn das Wagnis Leben muss man eben eingehen. Die Handlung ist für mich in diesem Teil deutlich flüssiger, weniger kitschig und auch der Schreibstil ist leichter. Ja, es wird nochmal ziemlich dramatisch und auch hier wäre vielleicht ein bisschen weniger mehr gewesen, insgesamt passt der zweite Konflikt aber gut in die Handlung und wird auch geschickt aufgelöst.
Gefallen hat mir zudem das Kernthema: Elsas Blindheit. Nena Siara schafft es, dieses Thema greifbar zu machen und es einem sehr nahe zu bringen. Dies wird auch durch das umfängliche Nachwort ergänzt.

Mein Fazit: Ich hatte arge Schwierigkeiten in den Roman hineinzukommen, die Protagonisten sind für mich in manchen Teilen unglaubwürdig und erst in der zweiten Romanhälfte konnte ich die Handlung wirklich genießen. Gefallen hat mir das Hauptthema, Elsas Blindheit, da ich hier viel dazulernen konnte. Insgesamt kann ich aber leider nur 3,5 von 5 Sternen vergeben.