Rezension

Quentin Tarantino lässt grüßen

Wild Card -

Wild Card
von Tade Thompson

Bewertet mit 3.5 Sternen

Die Aneinanderreihung von brutalen Szenen hat mich nicht unterhalten, aber ich wollte den Protagonisten bis zuletzt begleiten.

 

"Sie konnten der Presse oder den eigenen Leuten mitteilen, dass ein unabhängiger, wirklich neutraler Ermittler – aus London! – sich der Sache annahm. Die Story würde im weiteren Verlauf eines natürlichen Todes sterben, und alle Beteiligten konnten sich danach wieder ihrem müßigen Völkermord widmen oder was zum Teufel Rebellenparteien eben so machten. Und von mir würde man nur verlangen, dass ich so tat, als würde ich ermitteln. Solange ich dabei am Leben blieb."

Wild Card, Taschenbuch-Ausgabe, S. 78

Unbezahlte Werbung, da Verlags- und Titelnennung. Der Thriller „Wild Card“ von Tade Thompson ist am 17. Juli 2021 im Suhrkamp-Verlag erschienen. Herzlichen Dank an den Verlag und Vorablesen.de für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

Darum geht’s

Weston Kogi gelingt die Flucht vor dem Bürgerkrieg aus seiner westafrikanischen Heimat nach Großbritannien, wo er sich als Mitarbeiter einer Securityfirma durchs Leben schlägt. Als seine Tante verstirbt, reist er nach vielen Jahren zurück in die Heimat, um an der Beerdigung teilzunehmen. Dort trifft er auf alte Bekannte, vor denen er damit prahlt, als Polizist zu arbeiten. Eine kleine Lüge mit großen Folgen, denn aufgrund seiner angeblichen kriminalistischen Expertise wird Weston in den Krieg zweier gefährlicher Rebellenparteien hineingezogen und es beginnt ein brutales und blutrünstiges Spiel mit dem Feuer und dem Leben vieler Menschen – einschließlich Kogis eigenem.

Mein Leseerlebnis

Folter- und Sexszenen, grausame Morde, ekelerregende Krankheiten und Verletzungen, drastische Schilderungen von Armut, Elend und Korruption, Erpressung und Psychoterror. Vor diesen Thriller sollte der Verlag definitiv eine ausführliche Triggerwarnung setzen. Dieses Buch ist nichts für Zartbesaitete.

Tade Thompson stellt uns mit Weston Kogi einen durchaus spannenden Protagonisten vor, der durch sein Leben in Europa geprägt ist und sein Heimatland, das sich durch Unruhen und Bürgerkriege verändert hat, kaum noch wiedererkennt. Immer wieder steht er in seinem Denken zwischen den Welten und reflektiert das Geschehen um ihn herum sowie seine eigenen Taten anhand „westlicher“ Maßstäbe, die ihm aber in der brutalen Hölle, in der er sich befindet, überhaupt nicht weiterhelfen. Auch für mich als Leserin sind die Kontraste zwischen den Realitäten des friedlichen Europas und des kriegs- und krisenerschütterten Heimatlandes von Kogi nicht in Einklang zu bringen. Dass sich diese Orte zur selben Zeit auf der derselben Welt befinden ist unvorstellbar. Und doch kann man sich der traurigen Vermutung nicht erwehren, dass Westons Heimat wahrscheinlich an vielen Orten dieser Welt sein könnte. Da ich Protagonist*innen mit Ecken und Kanten sehr gerne mag, ist mir Weston Kogi, bei allen Schwächen und Fehlern, doch sympathisch geworden und ich musste einfach wissen, wie die Sache ausgeht.

Die Story ist grundsätzlich interessant und gut gestaltet. Bis auf ein paar unvorhergesehene Wendungen kommt bei mir allerdings nur sehr wenig Spannung auf, in dem Sinne, dass ich unbedingt weiterlesen musste, um zu wissen wie bestimmte Szenen enden. Der wirkliche „Thrill“ bei diesem Roman liegt wohl eher in den drastischen Formulierungen und der brutalen bildhaften Ausgestaltung der Story, worauf ich bereits zu Beginn eingegangen bin. Thompsons Schreibstil ist tatsächlich bildhaft, klar, deutlich und schnörkellos. Er bedient sich keiner komplizierten Sprache und arbeitet mit klaren, einfachen Satzkonstruktionen. Das sorgt zum einen dafür, dass der Thriller zwar schnell und leicht zu lesen ist, die drastisch geschilderten und brutalen Szenen aber schonungslos auf die Leser*innen einprasseln, was das Lesevergnügen deutlich dämpft. Definitiv gelingt es dem Autor aber, mich in diese traurige und dunkle Welt zu entführen, was ebenfalls für einen guten Schreibstil spricht.

Fazit

Im großen und ganzen hat mir der Roman nicht im klassischen Sinne „gefallen“. Die Aneinanderreihung von brutalen Szenen hat mich nicht unterhalten, aber ich wollte den Protagonisten durch diese Hölle begleiten und war auf die Auflösung gespannt. Ich kann alle Leser*innen verstehen, die das Buch nach dieser Rezension nicht lesen oder nach wenigen Seiten weglegen, weil es drastische Gewaltdarstellungen, sexistische und frauenverachtende Inhalte und Aussagen enthält und es eben kein Vergnügen ist, sich mit den beschriebenen Szenen zu konfrontieren. Für mich sind solche Geschichten allerdings auch Reproduktionen eines Teils unserer menschlichen Realität. Es gibt diese Dinge alle und in irgendeiner Bananenrepublik dieser Erde geht ein echter Weston Kogi, und mit ihm viele andere Menschen, durch die Hölle. Mich erdet es, wenn ich mir diesen Umstand zumindest ab und an vergegenwärtige.