Rezension

Kluger und feinsinniger Roman zwischen den Kulturen

Die Früchte am Ende des Zweiges - Susanne Rocholl

Die Früchte am Ende des Zweiges
von Susanne Rocholl

Bewertet mit 4 Sternen

Die junge Iranerin Nasrin geht nach Deutschland, um sich zu emanzipieren und beruflich zu verwirklichen. Ihr gefällt das scheinbar freiere Leben sehr und so überredet sie ihre jüngere Schwester Latife, entgegen dem Wunsch ihrer Eltern, ebenfalls nach Deutschland auszureisen.

Latife indessen fällt das Leben in Deutschland unheimlich schwer, ebenso das Erlernen der deutschen Sprache. Sie hängt an ihren traditionellen iranischen Werten und verzweifelt immer mehr...

Nasrin ist eine spannende und interessante Frau. Sie ist sehr leistungsorientiert und die Karriere steht stark in ihrem Fokus, während ihr Mann und dessen Sohn sowie ihre gemeinsame Tochter eher hinten an stehen. Als älteste Tochter, ohne Bruder, ist sie für das finanzielle Auskommen ihrer Familie verantwortlich. Zudem steht sie als Frau unter dem Druck, alles doppelt besser zu machen und erfolgreicher zu sein, als als Mann. Auch will sie ihren Vater nicht enttäuschen und trägt zudem eine schwere Schuld mit sich. Nasrin ist sehr direkt, forsch, wirkt oft auch recht hart und unsensibel, ist zielstrebig, kompromisslos und durchsetzungsstark. Sie möchte eigentlich für alle das Beste und ist überzeugt davon, dass ihr Weg der Richtige ist. Sie ist sehr kontrolliert und distanziert und dabei oft getrennt von ihrem emotionalen und wirklichen Leben. Es müssen erst wirklich tragische Dinge geschehen, ehe sie weicher wird und sich wieder auf die vielleicht wesentlicheren Dinge besinnen kann.

Der Roman besticht durch einen klaren psychologischen Blick auf die Hauptprotagonisten. Nasrin und auch Latife werden in ihren Wünschen, Ängsten, Ansprüchen und auch Widersprüchlichkeiten sehr eindrücklich, überzeugend, komplex und nachvollziehbar beschrieben.

Darüber hinaus gibt es immer wieder sehr interessante Einblicke in die iranische Kultur und das dortige Leben insbesondere auf dem Lande. Gleichwohl auch die deutsche Kultur deutlich gespiegelt wird.

Zudem werden Fragen aufgeworfen über der Rolle der Frau, über die Vereinbarkeit von Familie und Karriere, über die Möglichkeiten der Integration.

Der Roman hat mehrere Handlungsstränge, ist sehr spannend geschrieben und kann emotional berühren.

Trotzdem ziehe ich einen Punkt ab, da der Handlungsstrang um die Figur Herriger, einen ehemaligen Kollegen Nasrins, mir deutlich weniger gefallen hat. Die Figur war mir einfach unsympathisch und konnte mich in seinen Handlungen nicht vollends überzeugen.

Fazit: Ein sehr empfehlenswerter, dramatischer, kulturell interessanter und psychologisch gut gezeichneter Roman, der mich sehr nachdenklich zurückließ und mir im Gedächtnis bleiben wird.