Rezension

Ein Buch, das berührt

Die Früchte am Ende des Zweiges - Susanne Rocholl

Die Früchte am Ende des Zweiges
von Susanne Rocholl

Bewertet mit 5 Sternen

„...sie war so zart, so lieblich, ihr Lächeln ein Gerstenfeld im Sonnenschein...“

 

Nasrin, ein junge Aserbaidschanerin, hatte im Jahre 1979 den Iran verlassen, um in Deutschland Maschinenbau zu studieren. Bei ihren Besuch im Jahre 1991 ist sie schwanger. Sie überredet ihre 17jähige Schwester Latife, sie nach Deutschland zu begleiten.

Mittlerweile sind 10 Jahre vergangen. Nasrin feiert ihren 40ten Geburtstag. Mit ihrem Mann Hendrik, ihrer neunjährigen Tochter Noosheh und dem Stiefsohn Jörn bewohnt sie eine Penthousewohnung. Hendrik ist Archäologe und zeitweise zu Ausgrabungen in Makedonien. Obwohl Nasrin ein gut dotierte Arbeit hat, möchte sie die Karriereleiter weiter nach oben steigen. Deshalb bewirbt sie sich bei einem Konkurrenzunternehmen. Sie erhält die Stelle. Doch das Jahr 2001 sollte zu ihrem Schicksalsjahr werden.

Die Autorin hat einen bewegenden Roman geschrieben, der mich schnell in seinen Bann gezogen hat. Das lag nicht nur daran, dass ich in zwei unterschiedliche Lebenswelten eintauchen durfte, sondern auch am angenehm lesbaren Schriftstil.

Die Protagonisten wurden gut charakterisiert. Nasrin ist eine ehrgeizige junge Frau, die der Enge ihrer Heimat entflohen ist. Sie nutzt die Freiheiten und Möglichkeiten, die ihr das Leben in Deutschland bietet. Doch gefangen im materiellen Denken und dem Wunsch, es als Frau den Männern zeigen zu wollen, fehlt ihr der Blick für die emotionalen Probleme der Menschen, die sie liebt. Dazu gehört ihr Mann Hendrik, dem sie sich bisher nie völlig geöffnet hat, und ihre Schwester Latife. Die junge Frau gilt in Deutschland als Asylbewerberin. Ihr Verfahren läuft seit neun Jahren. Finanziell wird sie von Nasrin unterstützt. Diese aber spürt nicht, dass Latife tief unglücklich ist. Sie möchte nicht nur ein Anhängsel ihre großen Schwester sein. Sie sehnt sich nach der Geborgenheit einer eigenen Familie.

Der Schriftstil besticht durch seine genauen Beschreibungen der Lebensverhältnisse in Iran und in Deutschland und durch seine bildhafte Sprache. Obiges Zitat, das Latife charakterisiert, ist ein treffendes Beispiel dafür. Durch die klare Strukturierung des Buches lässt mich die Autorin in zwei unterschiedliche Lebenswelten eintauchen, zum einen in die patriarchisch geprägten Lebensform im Iran, zum anderen in die auf Karriere und Konsum ausgerichteten Lebensverhältnisse in Deutschland. Zu den sprachlichen Höhepunkten gehören für mich die fein herausgearbeiteten Dialoge. Dafür könnte ich viele Beispiele anführen. Sie sind oft entscheidende Stellen im Handlungsablauf. Ein Gespräch war so tiefgründig, dass es die folgenden Probleme erahnen ließ, ohne sie zu benennen. Das war das letzte Gespräch zwischen Nasrin und ihren Chef. Es wurde geführt, als Nasrin ihm die Kündigung auf den Tisch legte. Sehr feinfühlig machte er ihr klar, dass auch sie nicht fehlerfrei war und es einige Stolpersteine in ihrem Lebenslauf gab, die das Direktoriat, das hinter ihr stand, unauffällig beilegte. Diese schützende Hülle gab sie nun auf. Mit dem Neubeginn ist sie auf sich allein gestellt.

Geschickt verknüpft die Autorin die Dialoge mit den Emotionen ihrer Protagonisten. Nur wenige Worte genügen ihr dabei häufig. Hendriks Liebe beginnt zu zerbrechen, als ihn Nasrin vor vollendete Tatsachen stellt. Jörns Trauer und Angst, Nashehs Offenheit und Nasrins Wut sind weitere Punkte, die behutsam dargestellt wurden. Nasrin durchlebt einen schmerzhaften Lernprozess. Kurze Rückblicke zeigen, wo die Wurzeln für Nasrins Verhalten liegen und was sie schon in der Vergangenheit dafür aufgegeben hat.

Es gäbe noch viel Positives zu dem Buch zu sagen. Das geht aber nicht, ohne auf den Inhalt einzugehen und das ist nicht Sinn und Ziel dieser Rezension.

Das Cover ist sehr gut gelungen. Hinter einer engen Gasse leuchtet ein helles Licht. Auch der Titel trifft den Inhalt des Buches. Das allerdings versteht man erst, wenn man tief in die Geschichte eingetaucht ist.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es hat mich innerlich berührt und bewegt. Die Geschichte ist emotional aufrüttelnd. Der Weg des einen muss nicht der des anderen sein. Was den einen stark macht, kann den anderen zerbrechen. Auch das wurde thematisiert.