Rezension

Im Schatten des Rippers

Stadt in Angst - John Matthews

Stadt in Angst
von John Matthews

Bewertet mit 3 Sternen

Wir schreiben das Jahr 1892, und befinden uns damit in der Ripper + 4 Zeit. Ebenjener Ripper, der im spät-viktorianischen East London auf grausamste Art und Weise mindestens 5 Frauen abschlachtete, von denen man sich sicher ist, dass sie auf sein Konto gehen. Ebenjener Ripper, der offensichtlich abrupt Ende 1888 sein Morden einstellte. War er gefasst worden? Hat er wegen anderer Taten im Gefängnis gesessen? Ist er vielleicht sogar selbst ermordet worden? Es gibt viele Interpretationen, und John Matthews versucht sich an einer weiteren.

Die Morde des Rippers gehen weiter, dieses Mal auf der anderen Seite des Ozeans, in New York. Zum Glück lebt hier seit einiger Zeit einer der Menschen, die bei der Jagd auf den Ripper involviert gewesen waren, ein Mann namens Finley Jameson. Zusammen mit seinem Mentor Colby hatte er versucht, die Beweggründe des Rippers herauszufinden, er hat versucht, in die Psyche des Mörders einzutauchen. Zusammen mit dem leitenden Ermittler Joseph Argenti begibt er sich wieder einmal auf die Jagd, doch der Ripper ist den beiden grundsätzlich mindestens einen Schritt voraus. Er schickt Briefe an die größten Tageszeitungen, verhöhnt sie, mordet quasi direkt unter ihrer Nase; ja, als einer der beiden Ripperjäger selbst der Morde angeklagt wird, sorgt er dafür, dass diese Anklage wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Die Ermittlungen werden auch dadurch erschwert, dass sich ständig ein Unterweltboss samt seines mörderisch veranlagten Anhangs einmischt, dass die Hälfte der New Yorker Polizei korrupt und selbst kriminell ist, Jameson unter Blackouts leidet und sich in eine Prostituierte verguckt. Ein Ende des Falls ist nicht in Sicht, wann immer sie dem Ripper näher kommen, dreht er ihnen eine Nase und spottet: Ich bin schon allhier!

Das Positive: Matthews hat, soweit ich das als interessierter Laie erkennen kann, seine Hausaufgaben gemacht. Ich glaube zwar nicht, dass es schon den Begriff Kriminalanalytiker in der Form gab geschweige denn bezahlt und einem Ermittler zur Seite gestellt wurde, aber im Großen und Ganzen kann man tief mit Argenti und Jameson ins Ende des 19. Jahrhunderts und den Moloch Gotham City eintauchen. Gleichzeitig hat man das Gefühl, dass der Autor unbedingt sämtliche seiner Recherchen zum Besten geben wollte, und so konnte es durchaus passieren, dass einer der Protagonisten einem der anderen Protagonisten etwas ausführlich erzählt und erklärt, was diesem durchaus bekannt sein müsste. Als würde jemand heutzutage auf einen Bankschalter deuten und sagen: Schau, ein Bankschalter, da kann man Geld abheben. Ach, echt jetzt?

Bei den Protagonisten konzentriert sich das Hauptaugenmerk auf Jameson, der als brillanter Denker beschrieben wird. Tatsächlich blieb er mir die meiste Zeit einen Beweis für diese Brillanz schuldig, aber seine Ausarbeitung erscheint wie eine Mischung aus Sherlock Holmes samt seiner Neigung zu Opiumhöhlen und Agent Pendergast, der ja auch gern dazu neigt, geniale Schlussfolgerungen aus dem Nichts zu ziehen. Wer der Meinung ist, Argenti könnte durchaus Ähnlichkeiten zu Pendergasts Sidekick aufweisen … nun. Der mag Recht haben.

Die Ermittlungen verlaufen lange Zeit nach demselben Schema. Argenti und Jameson erfahren etwas, eilen zu einem Ort, vor ihrer Nase wird jemand ermordet, der Ripper verhöhnt sie per Zeitungsbriefen. Er teilt Jameson mit, dass er ihn ständig beobachtet, aber auch hier ist mir nicht klar, wie er das macht. Er weiß scheinbar alles über Jameson, so viele intime Details, die man eigentlich so gar nicht herausfinden kann, ohne irgendwelche Befragungen durchzuführen. Zumindest ich wäre mal auf die Idee gekommen, ob sich nicht irgendwer mal auffällig irgendwo nach mir erkundigt haben könnte. Und jemanden so intensiv zu beschatten, wie es der Ripper in dem Fall getan haben müsste, kann auf Dauer nicht unentdeckt bleiben. Nicht über Jahre. Da muss man sich einfach mit der Versicherung des Autors begnügen: Na, das hat er halt irgendwie gemacht. (Wahrscheinlich in den Pausen seiner Arbeit, der er übrigens nachgegangen ist.)

Ein wichtiger Nebenhandlungsstrang sind die korrupten Bullen und der Mafiaboss, der scheinbar zu blöd ist, einfach mal einen Killer loszuschicken, der seinen Job sauber erledigt. Da spielen so viele Zufälle eine Rolle, dass diverse Schutzengel sich schon auf der Straße gegenseitig bedrängen müssten, um zu erklären, warum er nicht einfach jemanden Kompetenten mit einer Knarre oder einem Messer losschickt.

Sehr amüsiert habe ich mich über Argenti, der seiner Frau erzählt, dass er zu Beginn seiner Polizeikarriere naiv war, weil er nicht mit korrupten Bullen gerechnet hat, während er zur gleichen Zeit – also 20 Jahre später – genauso naiv allen korrupten Bullen sämtliche ihrer Winkelzüge ermöglicht. Das ist also der erfahrene Polizist, der ermittelt. Der brillante Analytiker ist so brillant, dass er sich nicht einmal von 12 bis Mittag merken kann, dass er jemandem eingeschärft hat, nicht zu verraten, ihn gesehen zu haben und denselben Mann dann als Zeugen nennt für seinen Aufenthalt. Huch, der hat das gar nicht bestätigt – ach, ja, da war ja was … Sehr clever.

Zum Glück hat er einen autistisch veranlagten Hausel, der mit einem fotografischen Gedächtnis aufwarten kann und eine Rechenleistung wie ein moderner Laptop erbringt. Wo sich heute jemand hinter Google klemmt, fragt Jameson einfach Lawrence, welcher übrigens eine geringere Fehlerquote als ein moderner Laptop aufweist.

Am Ende bleibt nur noch der Ripper, dessen Motive mir persönlich als nicht einleuchtend und eher banal erschienen.

Fazit: Drei Sterne für intensive Recherchenkür, zwei Punkte Abzug für die Umsetzung und den Stil der Inhaltspflicht.