Rezension

Fesselnd und ausgezeichnet recherchiert

Tayfun
von Evelyn Barenbrügge

Bewertet mit 5 Sternen

Das Buch beginnt ungewöhnlich. In einem Gedicht klingt die Suche nach den Wurzeln an.

Darauf folgt eine Ausschnitt aus dem Wiener Diarium, der Wiener Zeitung, von 1773. Kaiserin Maria Theresia hat verfügt, dass Zigeuner nicht mehr heiraten dürfen und ihre Kinder im Alter von fünf Jahren an Bauernfamilien abzugeben sind.

Alexandro ist Zigeuner und Woiwode seiner Sippe. Mit seiner hochschwangeren Frau kommt er in ein Zigeunerlager. Hier werden ihm die Pferde weggenommen. Er darf das Lager nicht mehr verlassen und erfährt von dem Gesetz der Kaiserin. Verzweifelt entscheidet er sich, den neugeborenen Sohn Leandro mit der Großmutter in die Wildnis zu schicken und dort versorgen zu lassen. Die Zwillingsschwester bleibt im Dorf.

Tom ist 12 Jahre. Er wohnt am Rande eines Dorfes und gehört zu den Ärmsten der Armen. Sein Vater verbringt seine Zeit in der Schenke. Schläge sind an der Tagesordnung. Als sich Tom unter die Arbeitssuchenden mischt, wird er abgewiesen. Da bietet sich ihm eine neue Chance. Die Armee braucht Soldaten, und Tom bewirbt sich.

Die Autorin hat einen fesselnden und abwechslungsreichen historischen Roman geschrieben. Lange verlaufen zwei Erzählstränge nebeneinander. Ich darf sowohl Tom als auch Leandro über viele Jahre begleiten. Das Buch lässt sich zügig lesen und hat mich schnell in seinen Bann gezogen. Das lag daran, dass nicht nur die Geschichte der beiden Protagonisten erzählt wird, sondern das diese gekonnt in den historischen Kontext eingebettet wurde. Im Horea-Aufstand stehen die beiden Jungen auf unterschiedlichen Seiten.

Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Orte und Personen werden ausführlich beschrieben. Ein besonderes Highlight ist die Darstellung der Reise von Leandro durch das Gebirge. Feinfühlig und berührend erzählt, werden Kälte und Gefahren erlebbar. Mit passenden Worten wird das Leben in der Armee wiedergegeben. Gleiches gilt für die Lebensweise, die Mythen und die Gesetze der Zigeuner. Der Autorin gelingt es, durch ihre Wortwahl, den steten Wechsel des Erzählstrangs und überraschende Wendungen den Spannungsbogen konstant hoch zu halten. Dazu kommt, dass ab und an zusätzliche Lebensgeschichten eingeflochten werden. Aussagekräftige Dialoge lassen einen Blick in die Gedankenwelt der Protagonisten zu. Die Autorin lässt beide durch Höhen und Tiefen gehen. Für die Emotionen findet sie schöne Metapher. Angst und Sorge, erste zarte Liebe und Verrat sind nur einige der Elemente, die die Handlung vorantreiben.

Zwei Protagonisten möchte ich noch besonders erwähnen. Der erste wäre Oberst von Pappenberg. Er ist nicht ein Militärangehöriger. Er ist trotz der Brutalität der Kriege Mensch geblieben und hat sich das Mitgefühl für die Schwächeren erhalten. Der zweite ist außergewöhnlich. Es ist das Eichhörnchen Miko, dass Leandro durch die ersten Jahre seines Lebens begleitet, ihm allein durch sein Nahesein Freund und Trostgeber ist.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Ich mag es, wenn die Protagonisten Menschen mit Stärken und Schwächen sind, die sich entwickeln dürfen und durch das Leben geformt werden. Schön und informativ fand ich die vielen kleinen Geschichten, die im Roman eingeflochten wurden.

Sie erlauben einen Einblick auf die Sagenwelt der Völker, ihre Lebensansichten und zeugen von der exakten und ausführlichen Recherche der Autorin.