Rezension

Ernste Themen leicht erzählt

Milchmädchen - G. R. Gemin

Milchmädchen
von G. R. Gemin

Bewertet mit 5 Sternen

In Gemmas heruntergekommener Siedlung ist so einiges nicht in Ordnung. Früher konnte man die Türen offen stehen lassen und es war Leben im Viertel. Jetzt bleiben die Häuser verschlossen. Mit dem Gemeinschaftssinn ist es nicht mehr weit her. Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Umweltverschmutzung - die Bryn Mawr Siedlung ist ein trostloser Ort. Zumindest bis zu dem Tag, an dem die 13-jährige Gemma mit ihrem Fahrrad in eine kleine Herde Kühe hineinprescht und damit der großen, stillen Bauerstochter Kate - die von allen nur Cowgirl genannt wird - genau vor die Füße fällt.

Oberflächlich betrachtet gelingt G.R. Gemin mit "Milchmädchen" ein modernes Märchen von zwei Mädchen, die ein Dutzend Kühe vor der Schlachtbank retten wollen. Doch mit fast schon spielerischer Leichtigkeit schafft der Autor es, Themen wie Mobbing, Vorurteile, Ausländerhass, Kriminalität, soziale Armut und die Schere zwischen Stadtleben und Natur einzuflechten, ohne dass die Geschichte jemals überladen wirken würde. Vermutlich, weil man nur einen Schritt auf die Straße hinausgehen muss, um sie vor der eigenen Haustür zu finden. In "Milchmädchen" wachsen sie erfrischend unstereotyp, manchmal anrührend und oft humorvoll, zu einer Einheit zusammen.

In kurzen, klaren Sätzen erzählt G.R. Gemin auf nur 267 Seiten wie in einem verlotterten Ortsteil an allen Ecken und Enden zwischenmenschliche Brücken entstehen. Unaufdringlich klingt der Ruf nach mehr Offenheit und Eigenverantwortung durch. Denn, wie die Welt um uns herum auch immer aussehen mag, es liegt an uns Menschen sie zu ändern. Hin und wieder braucht es dazu allerdings einen kleinen Anstoß von außen. In "Milchmädchen" sind es 12 stoisch kauende Kühe und ein paar mutige Herzen, die den Stein ins Rollen bringen.

Gemmas selbstbewusste Oma, die stille Kate und Gemma lösen eine Kette von Ereignissen aus, in deren Folge fast jeder auf die ein oder andere Weise über sich hinauswächst. Gemmas von der Arbeit erschöpfte Mutter, ihr im Knast sitzender Vater, der anstrengende Bruder, dessen vorlaute Freunde, der nörglerische Nachbar und die gemeine Sian - aber vor allem ist es Gemma selbst, die sich immer mehr verändert und vieles mit anderen Augen betrachtet. Ob die Grundidee dabei realistisch ist, sei einmal dahingestellt. Das, was diese skurrile Kuhrettungsmission auslöst, ist es auf jeden Fall. Es sind scheinbare Kleinigkeiten, die zusammen genommen große Wirkung haben.

Fazit: Anrührend, aber nie pathetisch, süß, aber nicht kitschig, witzig, aber nicht überdreht, komplex und doch ganz einfach. Ich habe dieses Buch unheimlich gerne gelesen.