Rezension

Ein pures Lesevergnügen

Milchmädchen - G. R. Gemin

Milchmädchen
von G. R. Gemin

Können Kühe ein Leben verändern?

Die etwas schäbige anmutende Bryn-Mawr-Siedlung landet oft in den Nachrichten: Geknackte Autos, Einbrüche und Alltagskriminalität sind hier an der Tagesordnung und es ist nicht ungewöhnlich, dass die Menschen dieser Siedlung sich oft nicht aus ihren Häusern trauen. Doch nun macht eben dieses Wohngebiet ganz andere Schlagzeilen, denn die Verbrechensrate ist drastisch gesunken. Und es ist sehr ruhig geworden. Nur ab und an hört man ein „Muuuuuuuuuhhhh“. Fragt man die Bewohner nach diesem Phänomen, zucken diese nur mit den Schultern und schweigen.

Gemma, die literarische Hauptfigur aus „Milchmädchen“, weiß, was sich hinter den Veränderungen und den für die Stadt ungewöhnlichen Muh-Lauten auf sich hat. Denn Gemma trägt eine große Mitschuld an der mysteriösen Wandlung dieser Siedlung. Um zwölf Kühe vor dem Tod zu bewahren, entführte sie diese kurzerhand und versteckte sie in der Bryn-Mawr-Siedlung. Jedoch bleibt so eine große, muhende Kuh nicht lange unbemerkt …

„Milchmädchen“ von Giancarlo R. Gemin ist jedoch nicht nur eine Geschichte über zwölf Kühe, die das Leben der Bewohner einer großen Wohnsiedlung von heute auf morgen verändern. Es geht viel mehr um zwischenmenschliche Beziehungen und darum, dass es sich lohnt, sich nicht von Vorurteilen leiten zu lassen. Es geht um unerwartete, neu gefundene Freundschaften, die nicht nur Gemmas Leben bereichern. Aber auch um sehr einseitige Freundschaften, die einzig einem Zweck dienen: andere Menschen klein zu halten.

Nachdem man sich an der wunderschönen Gesamtgestaltung durch den Königskinder Verlag sattgesehen hat, bekommt man in den ersten Passagen von „Milchmädchen“ einen eindrucksvollen Einblick in Gemmas Leben, und lernt ihre abgekämpfte Mutter, ihren stets nervenden Bruder und ihre liebenswerte Großmutter kennen. Über Gemmas Vater wird in der Geschichte zwar oft gesprochen, aber er kommt nur selten in der Handlung vor, obwohl er sie maßgeblich mit seinen vergangenen Taten geprägt hat. Der Vater sitzt im Gefängnis und verbüßt eine Strafe, während seine Familie darum kämpft, ein halbwegs normales Leben führen zu können. Im Laufe dieser einfach gestrickten und trotzdem außergewöhnlichen Geschichte verändern sich viele kleine Details des familiären Alltags und mit ihnen die Mitglieder dieser Familie. Die wohl größte Wandlung macht jedoch Gemma durch. Sie trennt sich nach und nach von ihren Vorurteilen und ihrem oberflächlichen Blick auf die Menschen und die Dinge, die sie umgeben. Dadurch lernt sie wahre Freundschaft und echte Menschen kennen, die ihr Leben vervollständigen.

Giancarlo R. Gemin hat mir mit seiner imposanten Geschichte ein pures Lesevergnügen beschert. Vor allem haben mich seine literarischen Figuren, deren starke Beziehungen und ihren Empfindungen sehr beeindruckt. Auch die klare Botschaft, die mich immer wieder ermahnt mir die Mühe zu machen Menschen wirklich zu sehen, wie sie sind und mich nicht von Oberflächlichkeit täuschen zu lassen. Der einzige Makel von „Milchmädchen“ ist, dass die wenigen Seiten dieser starken Geschichte, viel zu schnell gelesen sind. Man kann dieses wunderschöne Buch einfach nicht weglegen, um sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Bleibt nur zu hoffen, dass der Autor unsere Bücherregale mit vielen neuen Geschichten füllt.