Rezension

Eine gelungene und konsequente Fortsetzung des ersten Bandes

Gwendys Zauberfeder -

Gwendys Zauberfeder
von Richard Chizmar

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt: 1999. Seit den beunruhigenden Vorfällen um den mysteriösen Wunschkasten sind Jahre vergangen. Gwendy ist mittlerweile aus Castle Rock weggezogen, eine erfolgreiche Schriftstellerin und seit kurzem sogar Kongressabgeordnete. Ihr Leben ist normal und verläuft in geregelten Bahnen. Das ändert sich schlagartig, als der Wunschkasten plötzlich wieder in ihrem Büro auftaucht – obwohl sie ihn eigentlich ein für alle Mal abgegeben hatte. Fast zeitgleich häufen sich Vermisstenfälle in Castle Rock. Hängen beide Ereignisse zusammen?

Persönliche Meinung: „Gwendys Zauberfeder“ ist der zweite Band der Gwendy-Trilogie. Anders als der erste Band „Gwendys Wunschkasten“, der in Mehrautorschaft von Stephen King und Richard Chizmar geschrieben worden ist, hat Chizmar den zweiten Band allein verfasst. King liefert nur ein Vorwort (6 Seiten), in dem er die Anfänge von Gwendy und der Zusammenarbeit mit Chizmar beschreibt. Und dass „Gwendys Zauberfeder“ von einem Autor geschrieben worden ist, merkt man dem Buch auch an. Es wirkt stärker aus einem Guss als der Vorgängerband, der Erzählfluss ist gleichmäßiger, wodurch es sich flüssiger Lesen lässt. Man kann „Gwendys Zauberfeder“ auch ohne Kenntnis des Vorgängerbandes lesen, da die wichtigsten Handlungsteile von „Wunschkasten“ in „Zauberfeder“ kurz zusammengefasst werden. Wie schon „Wunschkasten“ wird auch „Zauberfeder“ von einer allwissenden Erzählinstanz erzählt, die die Leser*innen durch die Handlung navigiert. In Sachen vorausdeutende Kommentare nimmt der Erzähler sich aber – im Vergleich zum „Wunschkasten“ – eher zurück. Generell lässt sich „Zauberfeder“ schwierig in ein Genre einordnen. Es gibt durch die Vermisstenfälle und die Suche nach dem Täter Krimielemente, aber „Zauberfeder“ entfaltet keine typische Krimihandlung. Die Vermisstenfälle spielen in der Handlung gar keine so große Rolle. Auch Horror kommt immer mal wieder durch (in Form des Wunschkastens oder bedrückender Gruselszenerien), aber Horror trifft auch nicht den Kern der Handlung. Zwar geistert der Wunschkasten häufig durch Gwendys Kopf, wird auch mal benutzt, spielt aber nicht eine so prominente Rolle wie noch im ersten Band. Er ist hier eher ein McGuffin. Im Mittelpunkt der Handlung steht weniger der Wunschkasten, auch nicht die titelgebende Zauberfeder, sondern die Protagonistin Gwendy, was eine konsequente Weiterentwicklung des ersten Bandes ist. Wie ging ihr Leben weiter, seitdem sie den Wunschkasten das erste Mal abgegeben hat? Wie geht sie mit dem erneuten Auftauchen des Wunschkastens um? Was tritt dieses Auftauchen in ihr los? Stärker in den Fokus rücken auch die Beziehung Gwendys zu ihren Eltern und ihre Eltern selbst, die im „Wunschkasten“ nur eine periphere Statistenrolle besaßen. „Gwendys Zauberfeder“ drängt dadurch insgesamt in Richtung Charakterstudie, vielleicht auch Sittengemälde des Alltags, ohne allerdings völlig in diesen Gattungen aufzugehen. Besonders an dem Kurzroman ist außerdem der Erzählstil. Er ist nicht effekthascherisch, eher ruhig und hauptsächlich deskriptiv; er rückt Castle Rock in ein diffuses Licht, das mal kalt, mal warm ist, und strahlt dadurch einen merkwürdigen Sog aus, sodass man das Buch schlecht zur Seite legen kann und durch die Seiten fliegt. „Gwendys Zauberfeder“ ist insgesamt ein Kurzroman, dem man kein allzu enges Genre-Korsett anlegen sollte, weil er sich verschiedener Traditionen bedient. Problematisch ist allerdings, dass der Klappentext und der Beginn der Handlung Erwartungen an einen Krimi/Thriller säen, die die Handlung letztlich nicht völlig erfüllt, sodass man leicht enttäuscht werden kann. Versucht man diese Erwartungen aber auszublenden und geht offen an „Gwendys Zauberfeder“ heran, erwartet die Leser*innen eine kurzweilige und interessante Lektüre mit einem besonderen Erzählstil. Mich hat der zweite Band jedenfalls auf Gwendys drittes und letztes Abenteuer, ihre „finale task“, neugierig gemacht.