Rezension

Die Legende der Mutterliebe

Liebesmühe -

Liebesmühe
von Christina Wessely

Bewertet mit 5 Sternen

Sie sitzt ruhig da, in ihrem Stuhl, ihr Kind auf den Armen, erst tippend, später diktierend, um ihr Kind nicht zu wecken. Über Monate versucht sie ihre Gedanken in Worte zu fassen, ihrer Verzweiflung einen Ausweg zu bahnen. Denn es fühlt sich für sie nicht “natürlich” an, ihr altes Leben zurückzulassen, mit der Geburt ihres Sohnes in eine neue Rolle als Mutter katapultiert zu werden. Aber das sollte es doch, oder? So instinktiv ist “Mutterliebe” doch!

Mit einem unglaublich analytischen und gleichzeitig differenzierten Blick nimmt Christina Wessely sich des Themas Post-Partum Depressionen an, entlarvt es als nicht nur hormonellen Schwankungen geschuldet sondern als eine Erkrankung an der Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die suggeriert, dass es nur eine Art gibt eine gute Mutter zu sein, dass Mutterliebe instinktiv ist, Momente der Verzweiflung oder gar Reue hingegen unnatürlich - die Ausnahme.

Es ist ein schmales Buch, eine gelungene Mischung aus Roman, Essay und populärwissenschaftlichem Sachbuch, das auf wenigen Seiten eine unglaubliche Kraft entfaltet, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Ein Buch, das einen mitzieht, einen jede einzelne Gefühlsregung nachspüren lässt. Ein Buch, das meines Erachtens wahnsinnig wichtig ist, nicht nur für werdende Mütter und jene, die sich mit dem Gedanken tragen Mütter zu werden, sondern auch für alle anderen. Für die Gesellschaft, in der sich Mütter spiegeln, in der sie Bestätigung suchen und durch die sie, wenn diese ihnen Akzeptanz verwährt, zu Fall gebracht werden.

Deshalb würde ich dieses Buch allen ans Herz legen. Nein, ich würde es ihnen an die Brust drücken und schreien: “Lest das!”