Rezension

Abenteuer in Japan um 1880

Die verlorene Zukunft von Pepperharrow -

Die verlorene Zukunft von Pepperharrow
von Natasha Pulley

Bewertet mit 4.5 Sternen

In Natasha Pulleys zweitem Band um den „Uhrmacher“ Keita Mori, treffen Mori, sein britischer Freund Nathaniel/Thaniel Steepleton, der mechanische Oktopus Katsu und die Physikerin Dr. Grace Carrow in Japan aufeinander. Während Russland seine Pazifikflotte vor Nagasaki in Position bringt, wartet der mit Mori befreundete Premierminister Kiyotaka Kuroda auf eine Lieferung von Kriegsschiffen für Japan. Keita Mori ist formal angefordert worden, um ein Problem mit Geistern in der britischen Gesandtschaft in Tokyo zu lösen. Doch in Kriegszeiten ist für den alterslosen, unauffälligen Mann mit Hellseher-Talent sicher eine andere Verwendung geplant.

Für Thaniel kommt die Reise nach Japan wie gerufen, sie befreit ihn vom Londoner Nebel und verspricht Aufschub seines absehbaren Sterbens an Tuberkulose. Mori und Thaniel pflegen eine innige Beziehung („keine Versprechungen, keine Diskussionen“) zueinander; sie haben das neurodiverse Mädchen Six aus einem Arbeitshaus freigekauft und leben mit ihr als Familie.

Focus der Handlung in den 1880ern liegt u. a. auf Thaniel, der inzwischen offenbar perfekt Japanisch spricht, und die binationale Takiko Pepperharrow, die sich als harmlose Putzfrau in hochgeheime Gemäuer schleicht. Schauplätze sind u. a. das viktorianische London, St. Petersburg, Tokyo, Nagasaki, die Insel Hokkaido, der Wald von Aokihagara und der 500 Jahre alte Stammsitz der Familie Mori.

„Die verlorene Zukunft von Pepperharrow“ lässt wie der Vorgängerband seine Leser:innen lange im Dunkeln tappen, worum es überhaupt geht. Durch den Schauplatz und mit dem Wissen, dass Japan sich erst 1853 widerstrebend Fremden geöffnet hatte (Stichwort Matthew Calbraith Perry) konnte ich in diesem Band das sarkastische Geplänkel beim Clash der Kulturen schon früher genießen. Mori, der lange in England gelebt hat, und Thaniel, der mit einem Japaner zusammenlebt, wirken für europäische Leser wie Dolmetscher zwischen den Kulturen. Mit Japan und England treffen zwei streng hierarchische Kulturen aufeinander, in denen auf Ansehen/Gesicht und Status großer Wert gelegt wird, was durch entsprechende Verbeugungen/Akzente zu demonstrieren ist. Bildsprachen wie das Japanische leben von Doppeldeutigkeiten und Bedeutungen, die Menschen oder Begriffen durch die Übersetzung erst spottend „verpasst“ werden. Dass man Anspielungen durch verschiedene Schreibweisen folgen kann, wird im Gespräch vorausgesetzt – und Englischsprechende sind darin Gegenspieler auf Augenhöhe.

Wer sich auf das doppelbödige Spiel mit Japan- und England-Klischees einlassen kann und das Geplänkel zunächst auf sich wirken lässt, wird sich köstlich amüsieren. In ihrem hochinteressanten Nachwort verrät Natasha Pulley nicht nur, wie sie das Japan-Thema aufgriff, sondern dröselt auch auf, welche fiktiven Personen sie vor welchen realen historischen Hintergrund platziert hat.

Wer von Pulleys zweitem Band keinen glasklaren Fantasy- oder Steampunk-Roman erwartet, sondern sich auf ein von der Samurai-Ehre geprägtes Japan um 1880 einlassen kann, sollte hier wieder zugreifen.