Rezension

Witzige und zugleich spannende Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft

Rico, Oskar und die Tieferschatten (Rico und Oskar 1) - Andreas Steinhöfel

Rico, Oskar und die Tieferschatten (Rico und Oskar 1)
von Andreas Steinhöfel

Ich bin auf Rico, Oskar und die Tieferschatten durch ein Kinder- und Jugendbuch-Seminar an der Uni aufmerksam geworden und war sofort angetan von der Geschichte. Bis ich das Buch dann vollständig gelesen hatte, ist zwar ein bisschen Zeit vergangen, aber nun bin ich umso begeisterter von Andreas Steinhöfel und seinem Talent, mit viel Einfühlungsvermögen die besondere Perspektive eines geistig behinderten Kindes einzufangen.

Rico hebt sich als Protagonist der Geschichte deutlich von anderen Figuren im Kinder- und Jugendbuchgenre ab. Denn Rico ist tiefbegabt, wie seine Mutter seine Behinderung liebevoll benannt hat. Er ist weder schlau, noch kann er sich Dinge besonders gut merken. Diese angeblichen Fehler sind es, die ihn als Kinderbuchfigur zu etwas Besonderem machen. Rico ist von Beginn an unglaublich sympathisch und witzig. Für ihn spielen kleine Dinge eine große Rolle. So wie die Fundnudel, die er vor seinem Wohnhaus auf der Straße aufliest oder die Filme, die er mit seiner Nachbarin gemütlich gemeinsam auf dem Sofa schaut. Obwohl Rico keine Fremdwörter versteht und er auf eine Förderschule geht, sind seine Gedanken oft sehr weise. Ihnen lauscht man als Leser permanent, denn die Geschichte ist aus der Ich-Perspektive wie eine Tagebuchaufzeichnung geschrieben.

Mir fiel ein Unterschied zwischen uns auf: Ich habe fast dauernd gute Laune, weiß aber nicht viel. Oskar wusste jede Menge merkwürdiger Dinge, aber seine Laune war im Keller. Bestimmt ist das so, wenn man sehr schlau war – es fallen einem zu schönen Sachen auch gleich noch ein paar schreckliche ein. (S. 68)

Oskar ist im Gegensatz zu Rico hochintelligent. Deswegen sieht er an jeder Ecke Gefahren für sein Leib und Leben und trägt zum Schutz zu jeder Tageszeit einen Motorradhelm auf dem Kopf. Als sich Rico und Oskar begegnen, treffen Welten aufeinander. Wahnsinnig witzig ist dabei, dass beide einander aufgrund ihrer unterschiedlichen Bildung oft missverstehen, aber sie trotzdem auf Anhieb befreundet sein möchten. Nicht selten habe ich laut gelacht, wenn Rico und Oskar sich miteinander unterhalten.

"„Kennst du Miss Marple“, fragte ich. „Nein. Wohnt die auch hier im Haus?“ Ha, das war die Gelegenheit, ihn ein bisschen zu verspotten." (S. 74)

Abgesehen von Ricos abwechslungsreichem Alltag in seinem Wohnblock in der Diffe, macht die Geschichte um Rico und Oskar auch nachdenklich. Ich fand es gut, dass in einem Kinderbuch die Probleme einer sozial schwachen Familie nicht unangesprochen bleiben. So muss Ricos Mutter für ihren Unterhalt nachts in einer Bar arbeiten und macht sich gerne für die Männer, die ihr dort begegnen, zurecht. Was seine Mutter genau dort macht, weiß Rico nicht und bleibt auch weitestgehend für den Leser im Dunkeln. Trotzdem hat mir das Thema im Buch sehr gut gefallen, denn Kinder in der Mittel- oder Unterschicht der Gesellschaft kennen ähnliche Probleme von zu Hause und können sich mit Rico deswegen gut identifizieren.

"Ich kann es überhaupt nicht ertragen, wenn Mama weint. Die Welt wird dann so dunkel, als hätte der liebe Gott das Licht ausgeknipst." (S. 100)

Die Geschichte birgt aber, neben den witzigen und nachdenklich machenden Themen, auch ziemlich viel Spannung! Ein Kindesentführer treibt nämlich seit Monaten in Berlin sein Unwesen und Rico verfolgt gespannt jeden Abend die Neuigkeiten im Fernsehen. Andreas Steinhöfel schafft es die Gefahr dabei in seiner Geschichte nicht zu beschönigen oder abzuschwächen, sondern mutet seinen jungen Lesern genug zu, mit dem Thema Entführung, zurechtzukommen. Selbst für mich war die Geschichte bis zu einem gewissen Grade unvorhersehbar und sehr packend!

"Aus den dreckigen, feuchten Wänden ringelten sich schleimtriefende Würmer nach draußen, und das Stöhnen gemarterter Seelen aus den Folterkammern unter den tiefen Kellern bohrte sich mit spitzen Krallen in mein Trommelfell." (S. 186)

Sprachlich ist Andreas Steinhöfel seinem jungen Publikum mehr als gerecht geworden. Ehrlich und einfühlsam beschreibt er Ricos Welt und lässt den Leser mühelos ein Teil von ihr werden. Der Tagebuchstil und die Perspektive des Buches haben mir besonders gut gefallen. Zusätzlich werden die einzelnen Kapitel von Notizen über Fremdwörter von Rico ergänzt, was die Geschichte schön auflockert.

Fazit & Bewertung

Rico, Oskar und die Tieferschatten ist ein kleines Meisterwerk des Genres Kinder- und Jugendbuch. Mit unglaublichem Einfühlungsvermögen hat Andreas Steinhöfel die Welt aus der Sicht eines leicht behinderten Kindes geschildert und seine Leser für sie fasziniert. Die Geschichte zeigt, dass es nicht darauf ankommt, wie schlau man ist, sondern wie viel Mut man hat und dass es wichtig ist Freunde zu finden, für die es sich lohnt mutig zu sein. Rico, Oskar und die Tieferschatten ist die witzige und zugleich spannende Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, die es zu Lesen lohnt!

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