Rezension

Achtung: Nur BEDINGT als Schullektüre geeignet (Sexismus, Male Gaze, schädliche Geschlechterstereotype)!

Rico, Oskar und die Tieferschatten (Rico und Oskar 1) - Andreas Steinhöfel

Rico, Oskar und die Tieferschatten (Rico und Oskar 1)
von Andreas Steinhöfel

 ~ Mein Fazit ist deshalb: Man kann dieses Buch durchaus noch als Schullektüre lesen, aber NUR wenn man die problematischen Stellen ordentlich begleitet, die Kinder darauf aufmerksam macht und sie kritisiert bzw. den toxischen Gedankengängen etwas entgegensetzt. In diesem Falle (auch ich habe es genau so gemacht) kann ich das Buch weiterempfehlen und vergebe 4 Sterne. Da ich aber weiß, dass die wenigsten Lehrpersonen in diesem Bereich so viel Bewusstsein für die Problematik haben, gibt es von mir keine generelle Empfehlung. Bitte weicht in diesem Fall auf zeitgemäßere, modernere Autor*innen aus! ~

Inhalt

Ein Junge, der sich selbst als „tiefbegabt“ bezeichnet, sucht auf eigene Faust nach seinem verschwundenen Freund, weil er glaubt, dass dieser vom berüchtigten Kindesentführer „Mister 2000“ gekidnappt wurde.
 
Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band 1/4
Erzählweise: Ich-Erzählweise, Präteritum
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: mittel bis lang

Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Inhaltswarnung: Sexismus, Sexualisierung von Frauen, Krankheit, Tod, Gewalt gegen Kinder
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): nicht bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

 

Rezension

„In meinem Kopf geht es manchmal so durcheinander wie in einer Bingotrommel.“ Seite 11

„Rico, Oskar und die Tieferschatten“ ist im Jahr 2008 erschienen, wurde mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet und gilt als beliebte. Meine Erwartungen an dieses Buch waren daher dementsprechend hoch.

Doch ist dieses Buch, das für Kinder ab 10 Jahren empfohlen wird, wirklich die perfekte Klassenlektüre und hält auch einer feministischen Analyse stand? Kurz und knapp: Nein! Leider ist dieses Buch voller Male Gaze, objektifiziert und sexualisiert Frauen, verharmlost ganz nebenbei Prostitution und enthält Bodyshaming. So erklärt zum Beispiel die Mutter des Protagonisten, wenn ihre Brüste mal zu „Hängemöpsen“ würden, dann gebe es einfach neue (= Schönheitsoperation) – und sind das nicht genau die toxischen Schönheitsideale und Körperbilder, die wir unseren Kindern (besonders den Mädchen) in diesem Alter vermitteln wollen? Genau so mag ich meine preisgekönte Schullektüre – NICHT! Wie kann man in der heutigen Zeit so etwas ernsthaft noch publizieren? Gab es da niemanden im gesamten Veröffentlichungsprozess beim Verlag, der gesagt hat: Diese 5 Stellen sind nicht mehr zeitgemäß, die streichen wir raus? Es macht mich ziemlich wütend, wenn gerade Kinderbuchautor*innen (deren Publikum sehr einfach zu beeinflussen ist) für das Thema überhaupt kein Bewusstsein haben, ja, sich scheinbar überhaupt noch nie damit beschäftigt haben und dann munter wie Elefanten im Porzellanladen schädliche Stereotype reproduzieren. Das geht einfach nicht! Gerade von Kinderbuch-Autor:innen und -verlagen erwarte ich hier mehr!

Das Schlimme ist Folgendes: Von den schädlichen Geschlechterstereotypen, den wenigen weiblichen Figuren und dem Sexismus mal abgesehen, ist dieses Buch RICHTIG gut. Deshalb bin ich gleich doppelt enttäuscht. Wir bekommen hier nämlich einen spannenden Kinderkrimi serviert, der in einem angenehmen, kindgemäßen und trotzdem nicht zu einfachen Schreibstil geschrieben ist und nicht nur liebenswürdige, komplexe Außenseiter-Figuren, sondern auch humorvolle Dialoge und wichtige Botschaften enthält. Auch die behandelten Themen (Anderssein, Freundschaft, Zusammenhalt, Familie, Mut) und die authentische Beschreibung des Settings (in Wirklichkeit ist dieses Buch eine Berliner Milieustudie) haben mich auf ganzer Linie überzeugt. Die Geschichte ist auch bei meiner Klasse sehr gut angekommen, manche lesen nun sogar in ihrer Freizeit die Fortsetzung.

 

Mein Fazit

Mein Fazit ist deshalb: Man kann dieses Buch durchaus noch als Schullektüre lesen, aber NUR wenn man die problematischen Stellen ordentlich begleitet, die Kinder darauf aufmerksam macht und sie kritisiert bzw. den toxischen Gedankengängen etwas entgegensetzt. In diesem Falle (auch ich habe es genau so gemacht) kann ich das Buch weiterempfehlen und vergebe 4 Sterne. Da ich aber weiß, dass die wenigsten Lehrpersonen in diesem Bereich so viel Bewusstsein für die Problematik haben, gibt es von mir keine generelle Empfehlung. Bitte weicht in diesem Fall auf zeitgemäßere, modernere Autor*innen aus!

 

Bewertung

Cover / Aufmachung: 2 Sterne
Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 4 Sterne
Worldbuilding: 5 Sterne ♥
Einstieg: 4 Sterne
Ende: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 5 Sterne
Protagonist: 5 Sterne
Figuren: 5 Sterne
Spannung: 4 Sterne
Wendungen: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 1 Stern (!)
Einzigartigkeit: 4 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀❀ Sterne

Dieses Buch bekommt von mir vier Sterne!