Rezension

Wenn die Vergangenheit ruft

Ein Weg zurück
von Kerstin Hohlfeld

Bewertet mit 5 Sternen

Irina von Lehnberg ist eine angesagte Berliner Radiomoderatorin, die ihr Leben im Griff hat. Sie hat Jens, ihren Freund, und eine Arbeit, die ihr Spaß macht.
Da erreicht sie ein Brief aus ihrer Vergangenheit, die sie 25 Jahre versucht hat zu vergessen. Ein Brief aus einer Zeit, wo sie noch Kathrin Neumann hieß und ein Mädchen, dessen Eltern Alkoholiker waren.
Ihre ehemalige Freundin Viola schrieb ihr, dass die Gräfin von Lehnberg im Sterben liegt. Diese war es, die ihr das Leben damals erträglich machte.
Soll sie es wagen und sich ihrer Vergangenheit stellen? ...

Eine Reise in die Vergangenheit, die nicht nur Kathrin macht, sondern den Leser gleich mitnimmt.
Sie führt zurück in die 80er Jahre nach Biebersleben, einem Dorf in der Nähe von Magdeburg. Dort verbrachte Kathrin ihre Kinder- und Jugendzeit. Als Kind von Alkoholikern wurde sie von allen gemieden. Sie trug alte abgenutzte Kleidung, da ihren Eltern Alkohol und Zigaretten mehr bedeuteten, als ihr Kind ordentlich einzukleiden. Auch regelmäßiges Essen war eher eine Seltenheit.
Ihre Schulkameraden mieden sie, weil sie stank und zerrissene Kleidung hatte. Und doch fand sie Freunde. Viola, Nicole und Jana wurden Freundinnen und spielten zusammen, gemeinsam durften sie auch die Gräfin von Lehnberg besuchen und dort spielen. 
Sie verband eine enge Freundschaft, die sie Jahre lang verband.
So herzlich die Freundschaft auch war, wird diese von Kathrin verraten. Daraufhin verlässt sie von einem Tag auf den anderen Biebersleben, nennt sich fortan Irina von Lehnberg und schaut 25 Jahre lang nicht zurück.

Kerstin Hohlfeld gelingt es, den Leser in eine Zeit zu geleiten, die vielen der ehemaligen DDR-Bürger Erinnerungen bescheren, die vielleicht schon vergessen oder verschüttet waren. Mir ging es so, einiges war nicht mehr so präsent, anderes hatte ich genauso in Erinnerung.

Kathrin, die der Leser als Irina kennenlernt, ist in der Gegenwart scheinbar eine glückliche und zufriedene Frau. Aber sie ist auch eine Frau, die sich erst seit 1989 so profiliert hat. Ihre Vergangenheit hat in ihrem gegenwärtigen Leben keine Bedeutung und auch keinen Bestand.
Das ändert sich alles mit einem Brief und einem folgenden Besuch in ihrer Heimatstadt Biebersleben.
Sie trifft frontal auf ihre Vergangenheit, obwohl sich dort auch vieles geändert hat. Sie begegnet alten Freunden und Bekannten und stellt sich ihrer Schuld, die sie vor 25 Jahren auf sich genommen hat.

Es wird eine Begegnung mit sich selbst. 

Kerstin Hohlfeld gelingt es mühelos, den Leser am Leben von Kathrin teilhaben zu lassen. Ich habe mit der kleinen Kathrin Mitleid gehabt, einem kleinen Mädchen, das anfangs nichts hat außer der Freundschaft zu dem Jungen Ben, genannt Hase, der wegen seiner Hasenscharte genauso im Dorf von Kindern und Jugendlichen geächtet war wie sie.
Ich habe mich für sie gefreut, als sie Freundinnen gefunden hatte und eine rettende Hand, die von der Gräfin kam.
Als sie durch den Verrat an ihrer Freundschaft zu Viola alles zunichte gemacht hatte, hätte ich sie schütteln können.

Es ist eine Geschichte, die zeigt, dass man alles schaffen kann, auch wenn Widrigkeiten den Weg pflastern.
Es ist aber auch eine Geschichte, die mich viele Emotionen hat ausleben lassen. Von fassungslos bis zu Tränen gerührt war alles bei. Ich bin wirklich nah am Wasser gebaut, so dass ich mehr als einmal Tränen in den Augen hatte. Was habe ich mit Kathrin gebangt und gehofft.

Es ist ein Buch, das unter die Haut geht. Als Leser durfte ich miterleben, wie aus der zerrissenen Kathrin / Irina wieder ein Mensch wurde, der mit sich eins ist.
Erinnerungen wurden wieder aufgefrischt oder geben für Unwissende einen kleinen Einblick in das Leben der ehemaligen DDR.

Im Nachhinein empfinde ich jedoch die Gestaltung des Covers als unglücklich, da es zum Inhalt des Buches so gar keinen Bezug hat. Schade, denn im Normalfall gefallen mir die Cover des Verlages.

Wer die Bücher von Kerstin Hohlfeld um die Protagonistin Rosa Redlich mochte, für den ist dieses Buch einfach ein Muss. 
Wer sie noch nicht kennt, sollte das ändern, denn sie auch für dieses Buch vergebe ich eine klare Kaufempfehlung.